Die Tochter des Magiers
Haut
schlängelten.
Sie wirkten so lebendig, als könnten sie in jedem Moment
loszischen.
»Gefälles dir?« LeClercs Augen blitzten fröhlich, als er Luke
musterte. »Schlangen sind flink und schlau. Bringen mir Glück.« Er
stieß einen zischenden Laut aus, als er Luke seinen Arm hinstreckte.
»Für dich sind Schlangen aber nichts, Junge.« Lachend teilte er das
dicke würzige Gumbo aus. »Du hast einen jungen Wolf mitgebracht, Max.
Man muß aufpassen, daß er nicht zubeißt.«
»Ein Wolf braucht sein Rudel.« Max deckte einen Korb auf, in
dem ein goldbrauner Brotlaib lag, und reichte ihn Lily.
»Und was bin ich, LeClerc?« Roxanne, die jetzt hellwach war,
löffelte eifrig ihr Gumbo.
»Du?« Ein sanftes Lächeln überzog das zerfurchte Gesicht, als
er mit seiner breiten knorrigen Hand über ihr Haar strich. »Mein
kleines Kätzchen.«
»Bloß ein Kätzchen?«
»Nun, Kätzchen sind klug, tapfer und gescheit, und manche
wachsen zu Tigern heran.«
Ihre Miene hellte sich auf, und sie blickte Luke aus
geschlitzten Augen an. »Und Tiger können Wölfe fressen.«
Als der Mond langsam unterging und selbst
die leiseMusik aus der Bourbon Street allmählich
verstummte, setzte sich LeClerc im Hof auf eine Marmorbank, die umgeben
war von seinen geliebten Blumen.
Zwar war Max der Besitzer des Hauses, aber erst Jean LeClerc
hatte daraus ein Zuhause gemacht, in einem ganz eigenen,
unnachahmlichen Stil. Dabei hatte er sich zwar nach Max' Vorliebe für
gediegene Eleganz gerichtet, doch inspiriert hatten ihn vor allem die
Erinnerungen an seine lange zurückliegende Kindheit in einer Hütte in
den Bayous, an wildwachsende Blumen, die seine Mutter in Plastiktöpfen
zog, an Düfte von Kräutermischungen und Gewürzen, an Stoffe und
spiegelblank polierte Hölzer.
LeClerc wäre gern wieder in die Sümpfe zurückgekehrt, aber er
konnte sich ein Leben ohne Max und seine Familie nicht mehr vorstellen.
Zufrieden rauchte er seine Pfeife und lauschte auf die
Geräusche der Nacht. Eine leise Brise raschelte in den Blättern der
Magnolien, linderte ein wenig die Hitze und versprach den ersehnten
Regen. Die hohe Luftfeuchtigkeit, die Ziegel und Mörtel im
Französischen Viertel allmählich verwittern ließ, hing wie ein Nebel
über der Stadt.
Er hatte Max nicht kommen hören, obwohl er Ohren wie ein Luchs
besaß, doch er spürte seine Gegenwart.
»Also, was willst du mit dem Jungen anfangen?« fragte er und
betrachtete die Sterne.
»Ihm eine Chance geben«, erwiderte Max. »Die gleiche Chance,
die du mir vor vielen, vielen Jahren gegeben hast.«
»Seine Augen würden am liebsten alles verschlingen, was sie
sehen. Das könnte gefährlich werden.«
Max setzte sich zu LeClerc auf die Bank. »Willst du, daß ich
ihn wegschicke?«
»Jetzt ist es zu spät für solche Überlegungen.«
»Lily hat ihn liebgewonnen«, begann Max und wurde von LeClercs
grollendem Lachen unterbrochen.
»Nur Lily, mon ami ?«
Max zündete sich eine Zigarre an. »Ich hab den Jungen gern.«
»Du liebst ihn«, verbesserte LeClerc. »Und das ist nur zu
verständlich, denn wenn du ihn anschaust, siehst du dich selbst. Er
weckt Erinnerungen in dir.«
Es fiel Max schwer, das zuzugeben. »Er erinnert mich daran,
nichts zu vergessen. Wenn du den Schmerz vergißt, die Einsamkeit, die
Verzweiflung, vergißt du, dankbar dafür zu sein, daß das alles hinter
dir liegt. Das hast du mir beigebracht, Jean.«
»Und mein Schüler hat seine Lektion so gut gelernt, daß er
jetzt klüger ist als sein Meister. Sehr schön.« LeClerc wandte den
Kopf, und seine dunklen Augen leuchteten. »Wirst du dich auch darüber
freuen können, wenn er dich eines Tages übertrifft?«
»Ich weiß nicht.« Max blickte auf seine Hände hinab. Es waren
gute Hände, beweglich, flink und geschickt. Er wagte nicht, daran zu
denken, wie er es verkraften würde, wenn er einmal alt wurde. »Ich habe
angefangen, ihm das Zaubern beizubringen. Ob ich ihm eines Tages auch
das andere beibringe, habe ich noch nicht entschieden.«
»Vor diesen Augen wirst du nicht lange Geheimnisse bewahren
können. Was hat er gemacht, als du ihn gefunden hast?«
Max mußte lächeln. »Sich als Taschendieb betätigt.«
»Ah.« LeClerc grinste. »Also ist er bereits einer von uns. Ist
er so gut, wie du damals warst?«
»Vielleicht sogar besser«, gab Max zu. »Er ist dreister und
hat weniger Angst. Aber es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man
Brieftaschen auf einem Rummelplatz klaut oder in Villen und feine
Hotels
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