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Die Tochter des Magiers

Die Tochter des Magiers

Titel: Die Tochter des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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Kopf.
    »Ich habe das gleiche hinter mir wie du.« Max spürte, daß es
Zeit war für den nächsten Schritt und zog ihn an sich. Der Junge
erstarrte automatisch in seiner tiefsitzenden Angst. Doch sie begann
langsam zu verschwinden, als Max ihn behutsam mit sich auf eine
Treppenstufe zog. »Niemand wird dich wegschicken. Du bist hier sicher.«
    Er wußte, daß er sich schämen sollte, sein Gesicht wie ein
Baby an Max' Brust zu drücken und zu heulen. Aber es war ein gutes
Gefühl, diese starken Arme um sich zu spüren.
    Was für ein merkwürdiger Junge das ist, wunderte Max sich, den
ein Lied so rührt, daß er sich deswegen sogar von einem seiner
kostbaren Dollars trennen würde. Wie tief mußte er durch die
gedankenlosen Grausamkeiten von Erwachsenen verletzt worden sein.
    »Kannst du mir erzählen, was sie mir dir gemacht haben?«
    Luke wünschte sich im Augenblick nichts sehnlicher, als daß
Max ihn verstand. »Ich konnte nichts machen. Ich konnte nichts dagegen
tun.«
    »Ich weiß.«
    Während die Tränen über seine Wangen liefen, flammte der alte
Zorn in ihm auf. »Sie haben mich die ganze Zeit geschlagen. Wenn ich
etwas gemacht hatte, wenn ich nichts gemacht hatte, wenn sie betrunken
waren, wenn sie nüchtern waren.« Er klammerte sich mit aller Kraft an
Max' Hemd. »Manchmal haben sie mich eingesperrt, und ich habe an die
Schranktür geschlagen und gebettelt, mich rauszulassen. Ich konnte
nicht raus. Ich konnte nie raus.«
    Er zitterte bei der Erinnerung daran, wie er haltlos weinend
in dem dunklen Schrank gekauert hatte, der ihm wie ein Sarg vorgekommen
war.
    »Wenn mal ein Sozialarbeiter kam und ich nicht das Richtige
sagte, ist er mit dem Gürtel auf mich los. Das letzte Mal …
das letzte Mal, ehe ich weglief, habe ich gedacht, er bringt mich um.
Und das wollte er auch. Ich weiß, daß er es wollte, ich konnte es ihm
ansehen. Aber ich weiß nicht, warum. Ich weiß nicht, warum.«
    »Es war nicht deine Schuld. Du brauchst dir keine Vorwürfe zu
machen.« Max streichelte dem Jungen über den Kopf und kämpfte gegen
seine eigenen Erinnerungen. »Man erzählt Kindern immer, es gebe keine
Monster, weil man es entweder selbst glaubt oder weil man will, daß das
Kind sich sicher fühlt. Aber es gibt Monster, Luke, und am
erschreckendsten ist, daß sie wie ganz normale Menschen aussehen.« Er
hielt den Jungen ein Stück von sich weg und betrachtete sein gequältes
Gesicht. »Aber das alles ist jetzt vorbei.«
    »Ich hasse ihn.«
    »Das ist dein gutes Recht.«
    Luke öffnete den Mund, aber die ungeheure Scham schnürte ihm
die Kehle zu. Doch als er in Max' Augen blickte, die ihn so ruhig und
verständnisvoll anschauten, begann er zu sprechen. »Er …
einmal hat er abends einen Mann mitgebracht. Es war spät, und sie waren
betrunken. Al ist rausgegangen und hat die Tür abgeschlossen. Und der
Mann … er wollte …«
    »Schon gut.« Er versuchte, Luke wieder an sich zu ziehen, aber
der Junge war vor Entsetzen erneut wie erstarrt.
    »Er hat mich mit seinen feisten Händen betatscht und wollte
mich küssen.« Luke wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Er
hat gesagt, daß er Al bezahlt hat, und ich soll ihn nur machen lassen.
Und ich sei dumm, weil ich nicht wisse, was er meint.«
    Seine Tränen waren versiegt, und er empfand nur noch den Zorn,
einen maßlosen, brennenden Zorn. »Ich verstand nichts, bis er sich auf
mich wälzte. Ich dachte, er wollte mich ersticken, aber
dann …« Das Grauen in Erinnerung an den schwitzenden, nach Gin
stinkenden Mann mit den gierig tastenden Händen ließ ihn verstummen.
    »Dann wußte ich's. Ich wußte es.« Er ballte die Hände zu
Fäusten, so daß sich die Nägel tief in seine Handflächen gruben. »Ich
hab ihn geschlagen und geschlagen, aber er hat nicht aufgehört, ich
habe gebissen und geschrien, meine Hände waren voller Blut, und er
hielt sich das Gesicht und schrie ebenfalls. Dann ist Al reingekommen
und hat mich verprügelt. Und ich kann mich nicht erinnern …
ich weiß nicht, ob …« Das war das Schlimmste, daß er es nicht
wußte. »In dieser Nacht wollte er mich umbringen. Da bin ich
weggelaufen.«
    Max schwieg lange Zeit, so lange, daß Luke befürchtete, er
habe viel zuviel erzählt. Vielleicht verachtete Max ihn jetzt. Doch
schließlich sagte er: »Du hast alles richtig gemacht.«
    Seine Stimme klang so verständnisvoll, daß Luke abermals die
Tränen in die Augen schossen. »Und das kann ich dir versprechen.
Niemand wird dich je wieder

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