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Die Tochter des Magiers

Die Tochter des Magiers

Titel: Die Tochter des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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darüber, daß Roxanne ihn nicht verpetzte, daß er die
letzte Stufe verfehlte. Mit einem erstickten Aufschrei streckte er den
Arm aus, um sich abzufangen. Luke kam es vor, als geschehe das folgende
in Zeitlupe. Er sah die blutroten Rosen in der Kristallvase, die im
Sonnenlicht funkelte, sah entsetzt, wie seine Hand dagegen schlug,
spürte das kühle Glas an seinen Fingern und stieß ein verzweifeltes
Stöhnen aus, als sie umkippte.
    Mit einem Krachen wie ein scharfer Pistolenschuß
zerschmetterte die Vase auf dem Holzboden. Regungslos starrte Luke auf
die glitzernden Scherben zu seinen Füßen.
    Luke brauchte kein Französisch zu verstehen, um zu wissen, daß
die Worte, die LeClerc ausstieß, ziemlich wilde Flüche waren. Er rannte
nicht davon, er rührte sich nicht einmal von der Stelle, sondern
wartete völlig versteinert darauf, geschlagen zu werden.
    »Was fällt dir ein, wie ein Wilder durch das Haus zu toben!
Sieh dir an, was du gemacht hast – die Waterford zerbrochen,
die Rosen zerknickt, und der ganze Boden steht unter Wasser. Imbécile!«
    »Jean«, ertönte Max' ruhige Stimme.
    »Die Waterford, Max!« LeClerc kauerte sich hin. »Der Junge ist
gerannt, als seien alle Höllenhunde hinter ihm her. Ich sage dir, er
braucht dringend …«
    »Jean«, wiederholte Max. »Genug. Schau dir sein Gesicht an.«
LeClerc sah, daß der Junge weiß wie ein Gespenst war. Seine dunklen
Augen wirkten starr und leblos. Seufzend richtete er sich auf. »Ich
hole eine andere Vase«, brummte er und ging davon.
    »Daddy.« Roxanne griff erschrocken nach der Hand ihres Vaters.
»Warum sieht er so komisch aus?«
    »Schon gut, Roxy. Lauf zu.«
    »Aber Daddy …«
    »Lauf schon«, wiederholte er und gab ihr einen kleinen Schubs.
    Roxanne ging zurück ins Wohnzimmer, doch gleich hinter der Tür
blieb sie stehen. Diesmal war ihr Vater viel zu abgelenkt, um eszu bemerken.
    »Du enttäuschst mich, Luke«, sagte Max ruhig.
    Luke zuckte zusammen. Die Traurigkeit in Max' Stimme traf ihn
viel mehr als Beschimpfungen oder Schläge. »Es tut mir leid«, flüsterte
er erstickt. »Ich kann dafür bezahlen. Ich habe Geld.«
    Schick mich nicht weg, bat er mit stummen Blicken. Bitte,
schick mich nicht weg.
    »Was tut dir leid?«
    »Ich habe nicht aufgepaßt, wo ich hingelaufen bin. Ich bin
ungeschickt. Und dumm.« Und alles andere, was man ihm während der zwölf
Jahre seines kurzen Lebens ständig vorgehalten hatte. »Es tut mir
leid«, wiederholte er und wartete immer verzweifelter auf die Schläge
oder – was noch schlimmer, sehr viel schlimmer wäre –
auf den Stoß zur Tür hinaus.
    »Ich hab mich nur so beeilt, weil ich Angst hatte, sie würde
weggehen.«
    »Wer?«
    »Die Frau. Die an der Ecke singt. Ich wollte …« Luke
merkte, wie absurd das alles klang und schaute hilflos auf den
zerknüllten Geldschein in seiner Hand.
    »Ich verstehe.« Und weil er wirklich verstand, war Max tief
gerührt. »Sie singt oft dort. Du wirst sie bald wieder hören.«
    Unsicher und bestürzt schaute Luke auf. Der kleine Funken
Hoffnung machte seine Angst noch größer. »Ich darf – ich darf
bleiben?«
    Mit einem tiefen Atemzug bückte sich Max und hob eine
Kristallscherbe auf. »Was siehst du hier?«
    »Sie ist zerbrochen. Ich habe sie zerbrochen. Ich denke nie an
irgend jemand anderen außer an mich selbst, und ich …«
    »Hör auf.«
    Luke zuckte zusammen und begann zu zittern. Wenn Max ihn
schlug, würde er es nicht wie gewohnt einfach abschütteln und vergessen
können. Dann wären all seine Hoffnungen zerstört.
    »Sie ist zerbrochen«, sagte Max mit bemühter Ruhe. »Und es ist
wohl wahr, daß du sie zerbrochen hast. Hast du es mit Absicht getan?«
    »Nein, aber ich …«
    »Schau dir das an.« Er hielt Luke die Scherbe hin. »Es ist ein
Stück Glas. Eine Vase ist ein Gegenstand, den jeder gegen entsprechende
Bezahlung erwerben kann. Glaubst du, du bedeutest mir weniger als diese
Scherben hier?« Ärgerlich warf er sie beiseite. »Denkst du so gering
von mir, daß du glaubst, ich würde dich schlagen, weil du ein Stück
Glas zerbrochen hast?«
    »Ich …« Luke hatte Mühe zu atmen, so stark war der
Druck in seiner Brust. Er konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten,
auch wenn er sich deswegen noch so sehr schämte. »Bitte, schick mich
nicht weg.«
    »Mein lieber Junge, weißt du nach all diesen Wochen, die du
mit mir zusammen bist, immer noch nicht, daß ich anders bin als sie?«
    Luke brachte kein Wort heraus und senkte den

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