Die Tochter des Magiers
Kassettenrecorder an, und ein Straußwalzer
erklang.
»Es ist ein schöner langsamer Walzer«, sagte Max. »Was sich an
den Gesten widerspiegeln muß.« Seine Hände schwebten über den Tüchern,
während er Luke umkreiste. »Wenn ich an deiner Stelle eine hübsche Frau
aus dem Publikum auf die Bühne hole, verstärkt das natürlich noch die
Wirkung. Und die Reaktion färbt wiederum auf das Publikum ab.« Mit
einer raschen Bewegung faßte Max das Ende eines Tuchs, riß es hoch und
wirbelte eine endlose Girlande ordentlich zusammengebundener Tücher
durch die Luft.
Luke riß verblüfft die Augen auf, ehe er zu lachen begann.
Max ballte die Tücher zu einem farbigen Ball zusammen. »Du
siehst, selbst bei einem solch kleinen Trick ist die richtige
Präsentation genau so wichtig wie die Geschicklichkeit. Einen Trick gut
zu beherrschen, ist niemals genug. Es kommt darauf an, ihn gekonnt
vorzuführen.« Er warf einen bunten Ball in die Luft … und die
Tücher waren wieder getrennt. Nacheinander schwebten sie zu Boden.
Roxanne klatschte lachend in die Hände. »Das war schön, Daddy.«
»Mein bestes Publikum.« Er bückte sich, um die Seidentücher
aufzuheben. »Willst du auch mal?«
Roxanne biß sich auf die Lippen. »Mit so vielen kann ich's
noch nicht.«
»Dann zeig, was du kannst.«
Nervös und stolz zugleich suchte sie sechs Tücher aus. Sie
wandte sich an das imaginäre Publikum, schwenkte jedes einzeln in der
Luft und drapierte sie dann über Lukes Arm. Ganz konzentriert
vollführte sie zum Klang der Musik eine Reihe langsamer Pirouetten um
Luke, lächelte ihm zu und strich mit den Händen über die Tücher wie
eine Frau, die eine Katze streichelte. Dann packte sie das Ende eines
Tuchs und wirbelte die ganze bunte Girlande hoch über ihren Kopf. Mit
einem triumphierenden Lachen schlang sie die Tücher um ihre Schultern.
»Gut gemacht«, nickte Max anerkennend. »Sehr gut.«
»Sie ist klasse, Max«, rief Lester. »Laß sie diese Nummer mal
vor Publikum ausprobieren.«
»Was meinst du, Roxanne?« Max strich ihr übers Haar. »Bereit
für einenSoloauftritt?«
»Darf ich?« Begeistert strahlte sie ihn an. »Daddy, bitte,
darf ich?«
»Wir werden bei der ersten Vorstellung mal einen Versuch
wagen, dann sehen wir weiter.«
Mit einem Freudenschrei rannte sie zu Lily. »Darf ich Ohrringe
tragen? Echte? Ja, darf ich?«
Max lächelte. »Du darfst dir sogar neue kaufen.«
»Die blauen aus dem Schaufenster im Laden am Ende der Straße,
ja?«
»Dann macht ihr beiden jetzt zwanzig Minuten Pause«, schlug
Max vor. »So viel Zeit braucht eine Frau mindestens, um den richtigen
Schmuck zu ihrem Kostüm auszuwählen.« Es war ihm recht, ein wenig mit
Luke allein zu sein. »Also.« Nachdem Roxanne und Lily verschwunden
waren, griff Max nach einem Kartenspiel. »Du fragst dich, warum ein
kleines Mädchen etwas kann, das du nicht kannst.«
Luke errötete, aber er schaute ihm fest in die Augen. »Ich
kann alles lernen, was sie kann.«
»Möglich.« Max fächerte die Karten auf. »Ich könnte dir sagen,
daß es ein Fehler ist, sich Roxanne oder irgend jemand anderen als
Maßstab zu nehmen. Aber du würdest nicht auf mich hören.«
»Du könntest mir alles beibringen.«
»Das könnte ich«, stimmte er zu.
»Ich weiß schon einiges. Ich habe dauernd geübt.«
»Ach ja?« Max reichte ihm die Karten. »Zeig's mir.«
Nervös mischte Luke. »Du findest es bestimmt noch nicht sehr
gut, weil du ja weißt, wie es funktioniert.«
»Da irrst du dich. Das beste Publikum eines Zauberers sind
andere Zauberer. Weil sie nämlich den Sinn der Vorführung begreifen.
Verstehst du ihn auch?«
»Na, um halt was vorzuführen«, erwiderte Luke.
»Mehr nicht? Komm, setzen wir uns.« Er nahm eine Karte aus dem
Spiel, das Luke ihm hinhielt. »Einen Trick vorzuführen, kann jeder
lernen. Man braucht nur zu wissen, wie er funktioniert und etwas
Geschicklichkeit, die sich durch Übung verfeinern läßt. Aber
Zauberei …« Er betrachtete die Karte und schob sie wieder ins
Spiel. »Zauberei vereint für eine kurze Zeitspanne das Wirkliche mit
dem Unwirklichen, so daß sich selbst der größte Skeptiker verwundert
die Augen reibt. Sie gibt den Menschen das, was sie sich insgeheim
wünschen.«
»Und was ist das?« Luke mischte die Karten, hob ab und
überreichte Max seine Karte. Er errötete vor Stolz, als Max beifällig
nickte.
»Ausgezeichnet. Mach noch einen.« Er lehnte sich zurück,
während Luke die Karten vorbereitete. »Was sie sich
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