Die Tochter des Magiers
fragte Roxanne.
»Genau«, strahlte Lily. »Nutze das, was dir gegeben ist,
deinen Verstand, dein Aussehen, deine Weiblichkeit. Die Frauen, die
sich so verhalten, sind seit Jahrhunderten schon emanzipiert gewesen.
Die Männer haben es bloß nicht immer gemerkt, das ist alles.«
»Ich will darüber nachdenken«, nickte Roxanne und küßte Lily
auf die Wange. »Danke.« Sie horchte auf, als sie den Schlüssel in der
Tür hörte, und bemerkte überrascht, daß Lily vor Aufregung errötete.
Roxanne fand es rührend, daß sie nach so vielen Jahren mit Max immer
noch wie ein junges Mädchen reagierte.
Flüchtig überlegte sie, ob sie je einen Mann finden würde, bei
dem es ihr ebenso gehen würde.
Max kam zur Tür herein, gefolgt von Luke, der Roxanne grinsend
einen Beutel zuwarf.
»Noch wach?« Max zog Lily an sich und küßte sie übermütig.
»Was kann ein Mann sich mehr wünschen, Luke, als nach einem
erfolgreichen Unternehmen heimzukommen und zwei hübsche Damen
vorzufinden, die ihn erwarten?«
»Ein kaltes Bier«, antwortete Luke und ging zur Minibar. »Es
war eine irrsinnige Hitze in diesem Tresorraum.« Er öffnete ein Bier
und trank die Hälfte in einem Zug leer.
Er sieht aus wie ein Barbar, dachte Roxanne. Düster,
verschwitzt – und ungeheuer männlich. Hastig wandte sie sich
zu ihrem Vater um. Ja, das war ein Mann mit Klasse. In seinem dunklen
Kaschmirpullover, den tadellos gebügelten schwarzen Hosen, mit
gepflegtem Schnurrbart und leicht nach Eau de Cologne duftend wirkte er
wie ein Aristokrat. Es gibt eben zweierlei Diebe, dachte sie und setzte
sich auf die Sofalehne.
»Wo sind Mouse und LeClerc?« fragte Lily.
»Beide schon ins Bett. Ich habe Luke noch auf einen
Schlummertrunk eingeladen. Mein lieber Junge, vielleicht könntest du
den Chardonnay öffnen, den wir kalt gestellt haben?«
»Sicher.« Während er die Flasche entkorkte, blickte er zu
Roxanne. »Möchtest du nicht sehen, was in dem Beutel ist, Rox?«
»Doch, schon.« Sie hatte sich nicht anmerken lassen wollen,
wie neugierig sie war und nahm sich vor, keine allzu große Begeisterung
zu zeigen. Doch als die Diamanten in ihrer Hand glitzerten, vergaß sie
alle Beherrschung. »Oh, wie wunderbar.«
»Nicht wahr?« Max nahm den Beutel und schüttete die restlichen
Steine in Lilys Hände. »Ein hervorragender Schliff und erstklassige
Qualität. Was schätzt du, Luke? 1,5 Millionen?«
»Eher schon zwei.« Er reichte Roxanne ein Glas Wein und
stellte Lilys auf den Tisch.
»Du könntest recht haben.« Max nickte dankend, als Luke ihm
ein Glas brachte. »Ich muß zugeben, daß es mir schwerfiel, nicht zu
habgierig zu sein, als ich dort in diesem Tresorraum stand und diesen
Schatz aus Smaragden, Saphiren und Rubinen sah. Oh, Lily, es waren
prachtvolle Stücke herrlich gearbeitete Halsketten aus erstklassigen
Steinen.« Er seufzte. »Aber diese hübschen Steinchen sind leichter zu
transportieren und abzusetzen.«
Luke erinnerte sich besonders an ein goldenes Halsband im
byzantinischen Stil, in das Smaragde, Diamanten, Topase und Amethyste
eingearbeitet gewesen waren. Roxanne hätte damit wie eine Königin
ausgesehen.
Er hatte sich vorgestellt, es ihr umzulegen und ihr dabei zu
gestehen, wie erregend der Gedanke für ihn war, ihr etwas zu schenken,
das niemand außer ihm jemals sehen würde. Und sie hätte ihn ausgelacht.
Er fuhr aus seinen Gedanken auf, als Max ihm eine Frage
stellte. »Entschuldige. Wie bitte?«
»Beschäftigt dich etwas?«
»Nein. Ich bin bloß müde, das ist alles. Es war ein langer
Tag. Ich lege mich gleich hin.«
Lily vergaß augenblicklich die Diamanten in ihrer Hand.
»Schatz, willst du denn nicht noch wenigstens ein Sandwich essen?«
fragte sie besorgt. »Du hast heute abend kaum etwas angerührt.«
»Ach, nein, hab keinen Hunger.« Er gab ihr einen Kuß auf die
Wange, wie er es sich im Laufe der Jahre angewöhnt hatte. »Schlaf gut,
Lily. Gute Nacht, Max.«
»Du warst heute ausgezeichnet, Luke«, sagte Max. »Schlaf gut.«
An der Tür warf er einen Blick über die Schulter zurück. Max
hatte Lily im Arm, Roxanne saß auf der Sofalehne, hatte den Kopf an die
Schulter ihres Vaters gelehnt und hielt in beiden Händen die
kristallklaren Steine. Wie ein Familienporträt, dachte er. Meine
Familie. Und er hämmerte sich am besten gut ein, daß Roxanne so etwas
wie eine Schwester für ihn war. »Bis morgen, Rox.«
Er schloß die Tür und ging über den Flur in sein Zimmer, wo er
für den Rest der Nacht von ihr
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