Die Tochter des Magiers
davongeritten in die Weiten der
Prärie, andere Männer sind aufs Meer hinausgefahren oder als Soldaten
in den Krieg marschiert. Und wo waren wir?« Roxanne wirbelte herum, daß
ihr geblümter Morgenrock flatterte. »Wir haben an den Fenstern
gestanden, auf Bahnhöfen gewartet, haben Keuschheitsgürtel getragen
oder am verdammten Telefon gehockt. Also, ich will mir nicht von einem
Mann mein Leben diktieren lassen.«
»Liebling.« Lily putzte sich herzhaft die Nase, als der
Abspann über den Bildschirm lief. »Es ist die Liebe, die diktiert,
Schätzchen, nicht der Mann.«
»Dann zur Hölle damit.«
»O nein. Die Liebe ist das Beste im Leben.« Lily seufzte
zufrieden über den herzzerreißend romantischen Film. »Max ist nur der
Ansicht, daß es richtiger ist, noch etwas zu warten.«
»Und was ist mit dem, was ich für richtig halte?«
»Du hast doch noch alle Zeit der Welt.« Lily kuschelte sich
genüßlich in ihren Morgenrock aus pfauenblauer, mit rosafarbenen
Straußenfedern besetzter Seide. »Die Jahre gehen so rasch dahin, Roxy.
Du kannst dir das jetzt noch nicht vorstellen, aber ehe du dich
versiehst, fangen sie an zu fliegen. Und ohne Liebe ist am Ende alles
nur leer. Für was immer du dich entscheidest, wenn die Liebe
dazugehört, ist es schon richtig.«
Es hat keinen Sinn, mit Lily zu diskutieren, dachte Roxanne.
Sie war nun einmal eine hoffnungslose Romantikerin. Roxanne hielt sich
für wesentlich nüchterner und war heilfroh darüber. »Hast du nie mit
ihnen gehen wollen? Wolltest du nie dazugehören?«
»Ich gehöre dazu.« Lily lächelte versonnen. »Ich weiß, daß Max
nachher zur Tür hereinkommt und diesen besonderen Blick in den Augen
hat, der mir sagt, daß er rundum zufrieden ist mit sich und der Welt.
Er brennt darauf, mir alles zu erzählen, es mit mir zu teilen, und
braucht es, daß ich ihm sage, wie klug und gerissen er ist.«
»Und das genügt dir?« Trotz ihrer Liebe zu Max und Lily fand
Roxanne diese Einstellung fürchterlich. »Seinem Ego zu schmeicheln?«
Lilys Lächeln verschwand, und ihre Augen blitzten. »Ich habe
genau das Leben, das ich mir wünsche, Roxanne. In all den Jahren, die
wir zusammen sind, hat Max mich nicht ein einziges Mal schlecht
behandelt oder absichtlich meine Gefühle verletzt. Dir bedeutet das
vielleicht nicht viel, aber mir schon. Er ist sanft und freundlich und
gibt mir alles, was ich mir wünsche.«
»Entschuldige.« Roxanne griff nach Lilys Hand. Obwohl sie ihre
Haltung nicht verstand, hatte sie sie nicht beleidigen wollen. »Es
macht mich rasend, daß sie mich ausschließen, und nun lasse ich es an
dir aus.«
»Schatz, ich verstehe dich schon. Du bist nun einmal die
Tochter deines Vaters.«
»Vielleicht hätte er lieber einen Sohn gehabt.«
»So etwas darfst du nicht einmal denken.«
»Luke nimmt er mit«, erwiderte sie voll Bitterkeit. »Ich
dagegen sitze hier und drehe Däumchen.«
»Roxy, du bist erst siebzehn.«
»Und ich hasse es, siebzehn zu sein.« Sie sprang auf,
marschierte zum Fenster und öffnete es. Tief sog sie die Luft ein. »Ich
hasse es, dauernd auf alles warten zu müssen und ständig zu hören, daß
ich noch so viel Zeit habe.«
»Sicher, das ist ganz natürlich.« Lily betrachtete Roxanne
lächelnd. Sie ist so wunderschön, dachte sie, und so voller Ungeduld,
sich endlich ins Leben zu stürzen. Wie schrecklich es ist, siebzehn zu
sein, kein Kind mehr und auch noch nicht erwachsen. Wie wundervoll und
schrecklich zugleich. »Ich kann dir einen Rat geben, aber vielleicht
ist es nicht unbedingt das, was du hören möchtest.«
Roxanne hielt ihr Gesicht in die kühle Nachtluft und schloß
die Augen. Wie sollte sie Lily die brennenden Sehnsüchte erklären, die
sie empfand? »Einen guten Rat zu hören schadet nie, ihn zu befolgen
dagegen oft.«
Lily lachte über das Zitat, das von Max stammte. »Versuche,
Kompromisse zu finden.« Roxanne stöhnte erbittert. »Kompromisse
einzugehen ist nicht so schlecht«, fuhr Lily fort, »wenn du es bist,
die die Bedingungen festlegt.« Sie stand auf und war froh, daß Roxanne
sich mit einem nachdenklichen Blick zu ihr umwandte. »Du bist eine
Frau. Willst du daran etwas ändern?«
Roxanne erinnerte sich daran, wie unendlich stolz sie gewesen
war, als ihre Brüste endlich begonnen hatten zu knospen. »Nein«,
lächelte sie. »Das will ich nicht.«
»Dann mach es dir zunutze, Schatz.« Lily legte ihr eine Hand
auf die Schulter. »Das bedeutet nicht das gleiche wie …«
»Es auszunutzen?«
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