Die Tochter des Magiers
Wasseroberfläche hinabgesenkt. »Callahan
hat lediglich vier Minuten, um aus dieser Kammer zu entkommen, ehe wir
gezwungen sind, das Glas zu zerschlagen. Ein Arzt steht für den Notfall
bereit.«
Jetzt mußte sie sich umwenden. Mit einer dramatischen
Handbewegung deutete sie auf Luke, dessen Kopf bereits unter Wasser
war. Sie beobachtete, wie er tiefer sank, bis sein Körper ganz
untergetaucht war. Dann hörte sie den dumpfen Laut, mit dem die
Plattform die Kammer luftdicht verschloß. Sein Haar schwebte im Wasser,
und seine leuchtend blauen Augen schauten sie direkt an.
Nun senkte sich ein dünner weißer Vorhang herab und verbarg
alle vier Seiten der Kammer.
Die Uhr begann zu ticken.
»Eine Minute«, verkündete Roxanne. Ihre Stimme verriet nichts
von der Aufregung, die sie gepackt hatte. Sie konnte förmlich sehen,
wie Luke sich von den Handschellen befreite und half ihm in Gedanken.
Inzwischen mußte er bereits dabei sein, die Ketten zu öffnen.
Im Publikum entstand Geraune, als die Uhr zwei Minuten
anzeigte. Roxanne spürte, wie ihre Handflächen feucht wurden und der
Schweiß über ihren Rücken lief. Durch das weiße Tuch hindurch sah sie
eine schattenhafte Bewegung.
Er hat keine Möglichkeit, um Hilfe zu rufen, dachte sie
beklommen, als die Zeiger der Uhr sich der Dreiminutenmarkierung
näherten. Keine Möglichkeit, irgendein Zeichen zu geben, falls er keine
Luft mehr hat. Hilflos und allein könnte er sterben, ehe sie den
Vorhang beiseite reißen und Mouse das Glas zerschmettern
konnte – und das alles nur wegen seines dummen Ehrgeizes.
»Drei Minuten«, sagte sie, und nun merkte man ihr die Angst an. Das
Publikum beugte sich gespannt vor.
»Drei zwanzig.« Verzweifelt blickte sie zu Mouse. »Drei
fünfundzwanzig. Bitte, meine Damen und Herren, bleiben Sie ganz ruhig.
Behalten Sie Platz.« Sie holte tief Atem und glaubte förmlich zu
spüren, wie Luke erstickte. »Drei Minuten vierzig Sekunden.«
Eine Frau begann hysterisch irgend etwas auf Französisch zu
schreien, woraufhin das ganze Publikum in Aufruhr geriet. Viele
sprangen auf. Die Uhr zeigte, daß fast vier Minuten verstrichen waren.
»O Gott, Mouse.« Noch acht Sekunden blieben übrig. Roxanne
verlor die Beherrschung und riß den Vorhang herunter. Genau in diesem
Moment drückte Luke mit der Schulter die Plattform beiseite, tauchte
auf und sog gierig die Luft ein. Seine Augen leuchteten triumphierend,
als die Zuschauer jubelnd applaudierten. Das war die dreißig Sekunden
wert gewesen, die er absichtlich unter Wasser gewartet hatte, obwohl er
längst frei gewesen war.
Er reckte eine Hand in die Luft und atmete tief ein und aus.
Diesen kleinen dramatischen Effekt würde er bei der nächsten Show
wiederholen, nahm er sich vor. Er packte die Plattform, zwang sich aus
der Kammer und landete triefnaß auf der Bühne.
Impulsiv beugte er sich über Roxannes Hand, und zum Entzücken
der romantischen Franzosen küßte er sie.
»Du zitterst ja«, bemerkte er. »Sag bloß nicht, du hättest
Angst gehabt, ich würde es nicht schaffen.«
Statt ihre Hand zurückzureißen, wie sie es am liebsten getan
hätte, lächelte sie ihm strahlend zu. »Ich hatte nur Angst, Mouse müßte
das Glas zerbrechen. Weißt du, wieviel es kostet, eine neue bauen zu
lassen?«
»Das ist meine Roxanne.« Er küßte noch einmal ihre Hand. »Ich
liebe deine Geldgier.«
Diesmal ertrug sie die Berührung seiner Lippen wirklich nicht
mehr. »Du tropfst mich ganz voll, Callahan«, sagte sie und trat zurück,
um ihm allein den Applaus im Scheinwerferlicht zu überlassen.
Es brachte Roxanne fast um, tatenlos
herumsitzen zu müssen. Unruhig lief sie im Wohnzimmer auf und ab,
während Lily es sich auf der Couch bequem gemacht hatte und einen alten
Schwarzweißfilm im Fernsehen anschaute.
»Das ist genauso erniedrigend wie stundenlang am Telefon zu
hocken in der Hoffnung, der Idiot, der dich neulich ins Kino eingeladen
hat, ruft endlich wieder an«, sagte sie. »Typisch Mann, so mit Frauen
umzuspringen.«
Lily murmelte nur zustimmend. »So machen sie das schon seit
Anbeginn der Zeit.«
Roxanne ließ sich in einen Sessel fallen, stand jedoch gleich
wieder auf und zog die Gardinen zur Seite. Mürrisch betrachtete sie die
glitzernden Lichter des nächtlichen Paris. »Schon die Neandertaler sind
auf die Jagd gezogen und haben die Frauen am Feuer zurückgelassen. Die
Wikinger haben fröhlich ihre Raubzüge unternommen, während die Frauen
zu Hause blieben. Die Cowboys sind
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