Die Tochter des Magiers
zufällig in einem Flugzeug, einem Zug oder
einem Taxi begegnet waren.
Nur einmal, als Lily sich darüber beklagte, daß Lukes
Entfesselungsnummern immer komplizierter und gefährlicher wurden, kam
etwas von ihrer unterdrückten Aufruhr ans Licht.
»Laß ihn doch«, fauchte Roxanne. »Männer wie er müssen sich
dauernd etwas beweisen.«
Ihre Rache bestand darin, mit einer ganzen Reihe attraktiver
Männer auszugehen. Oft brachte sie ihre Verehrer mit zum Essen, zu
Partys oder zum gemeinsamen Lernen. Ganz besonders genoß sie es, wenn
ihr jeweiliger Kavalier – wie Lily sie nannte –
während der Vorstellung im Publikum saß und Luke es wußte.
Sie hatte eine Schwäche für den intellektuellen Typ. Obwohl
Max ihn ständig gedrängt hatte weiterzumachen, hatte Luke nach einem
Jahr vom College die Nase voll gehabt. Es bereitete Roxanne ein
diebisches Vergnügen, ganz beiläufig zu erwähnen, daß Matthew Jura
studierte oder Philip an seinem Abschluß in Wirtschaftswissenschaften
arbeitete.
Roxanne selbst studierte Kunstgeschichte und Edelsteinkunde.
Solide Kenntnisse auf diesen Gebieten würden ihnen später zugute
kommen, wenn es darum ging, den Wert von Kunstwerken und Edelsteinen
einzuschätzen, die sie stehlen wollten, erklärte sie ihrem Vater.
Max war begeistert und stolz auf ihren Weitblick.
Genauso freute es ihn, daß sein Ruf als Zauberkünstler und das
Ansehen seiner Truppe stetig wuchs. Die Academy of Magical Arts hatte
ihn als Magier des Jahres ausgezeichnet, und da er es nicht länger für
nötig hielt, allzu großes Aufsehen zu vermeiden, hatten die Nouvelles
bereits zwei erfolgreiche Fernsehshows gemacht. Außerdem hatte Max sich
vor kurzem bereit erklärt, ein Buch über Zauberei zu schreiben.
Vor einem Monat hatte er eine reiche Dame aus Baltimore um
eine Brosche aus Opalen und Diamanten erleichtert, samt dazu passenden
Ohrringen. Seinen gesamten Anteil am Profit – nach Abzug des
Zehnten – hatte er in unzählige uralte Bücher, Landkarten und
Dokumente gesteckt, um den sogenannten Stein der Weisen zu erforschen,
dem seit einiger Zeit sein ganzes Interesse galt.
Für manche war es nur eine Legende, für Max dagegen ein neues
Ziel, das er auf dem Höhepunkt seiner beiden Karrieren dringend
brauchte. Er wünschte sich brennend, diesen Stein, den Traum jedes
Magiers, zu besitzen. Nicht, um Eisen in Gold zu verwandeln, sondern
als Sinnbild für alles, was er in seinem Leben gelernt und erreicht,
genommen und gegeben hatte.
Die Entdeckung des Steins der Weisen würde Maximilian
Nouvelles größte Leistung sein. Danach, so hoffte er, konnte er sich
zufrieden in den Ruhestand zurückziehen. Lily und er würden wie
Vagabunden um die Welt reisen, während ihre Kinder die
Familientradition fortführten.
Obwohl der Winter in New Orleans kühl und verregnet war,
fühlte Max sich rundum zufrieden. Das gelegentliche Stechen in seinen
Händen bei feuchtem Wetter bekämpfte er mit einigen Schmerztabletten
und vergaß es rasch wieder.
Roxanne mochte den Regen. Sie stand auf dem
überdachten Balkon von Geralds Apartment und fühlte sich wohl und
geborgen. Sie beobachtete einige Passanten, die über die nassen
Bürgersteige eilten. Gerald kochte in seiner winzigen Küche Café au
lait, und sie genoß den Duft, der zu ihr hinausdrang. Es ist schön,
hierzusein, dachte sie. Sie hatten an diesem Abend keine Vorstellung,
und sie war gern mit Gerald zusammen. Er war klug und lieb, mochte die
Musik Gershwins und ausländische Filme. Sein kleines Apartment über
einem Souvenirladen war vollgestopft mit Büchern, Schallplatten und
Videos. Gerald war Filmstudent und besaß mehr Filme, als Roxanne je in
ihrem Leben gesehen hatte.
Heute wollten sie sich Ingmar Bergmanns Wilde
Erdbeeren und Hitchcocks Vertigo anschauen.
»Ist dir nicht kalt?« Gerald brachte ihr einen Pullover
hinaus. Er war ein gutaussehender Mann, vielleicht zwei Zentimeter
kleiner als Roxanne, wirkte aber durch seine breiten Schultern größer.
Sein glattes rotblondes Haar fiel ihm in die Stirn, was Roxanne
besonders anziehend fand, und sein markantes Gesicht erinnerte sie ein
wenig an Harrison Ford. Die Hornbrille brachte seine ernsten braunen
Augen erst richtig zur Geltung.
»Eigentlich nicht.« Trotzdem folgte sie ihm hinein.»Die Stadt
sieht heute wie ausgestorben aus. Alle haben es sich zu Hause gemütlich
gemacht.«
»Ich bin froh, daß du es dir bei mir gemütlich gemacht hast.«
»Ich auch.« Sie gab ihm einen Kuß. »Mir gefällt
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