Die Tochter des Münzmeisters
Befehl, ein Stück weiter hinten zusammen mit Henrika zu warten. Nachdem die junge Frau den ersten Schreck über das furchtbare Schauspiel, das sich ihnen bot, überwunden hatte, begehrte sie gegen diese Entscheidung vehement auf. Doch Randolf blieb unerbittlich, und als ob er ihrer nächsten Tat vorgreifen wollte, gab er einem der beiden Männer mit einem Blick zu verstehen, dass er sich der Zügel von Henrikas Pferd bemächtigen sollte.
Während Randolf seinem Hengst die Fersen in die Seiten drückte und mit den anderen drei Männern denHügel hinabgaloppierte, blieb Henrika nichts anderes übrig, als hilflos zuzusehen. Ungefähr fünfzehn Männer griffen den Hof Goswins aus gebührendem Abstand mit fast unerträglichem Kampfgeschrei und mit Hilfe eines Pfeilhagels an, dem die zwei Brüder kaum etwas entgegensetzen konnten. Von ihrem Platz aus konnte Henrika verfolgen, dass ihre beiden Onkel hinter der hohen Umzäunung Schutz gesucht hatten und aus den kleinen Öffnungen ebenfalls Pfeile auf die Angreifer schossen. Einer der Männer lag bereits am Boden.
Doch es kam noch schlimmer, als Henrika plötzlich Mathilda mit den Kindern aus dem Haus rennen sah und alle gleich darauf hinter der Stalltür verschwanden. Blitzartig wurde der jungen Frau bewusst, warum Mathilda diesen Weg gewählt hatte, und nach einem schnellen Seitenblick auf ihre beiden Begleiter fasste sie einen Entschluss. Beide Männer waren so von den Kämpfen gefesselt, dass sie diese Unachtsamkeit nutzen musste. Ruckartig zog Henrika an den Lederzügeln, die der überraschte Mann nur locker in den Händen gehalten hatte, und galoppierte im nächsten Moment den Hügel hinunter, ohne auf die Rufe hinter ihr zu achten.
Mittlerweile flogen Brandpfeile, und Goswin musste mit Brun zurückweichen. Fünf der Brandschatzer hatten sich von den anderen getrennt und stellten sich Randolf und seinen Männern entgegen, die anderen trieben ihre Pferde gegen das brennende Tor, das lichterloh brannte. Beim Anblick der johlenden Männer, deren Schwerter mit einem lauten Klirren aufeinandertrafen, gefror Henrika das Blut in den Adern, doch sie verdrängte ihre Angst und trieb ihr Pferd weiter an. Da sie unbewaffnet war, musste sie unbedingt den Stall erreichen, denn das war genau die Anweisung, die sich bei ihren vielen Aufenthalten hier auf dem Hof ihres Onkels in ihremKopf festgesetzt hatte. Sie warf einen gehetzten Blick über die Schulter und sah, dass ihre Aufpasser ihr dicht auf den Fersen waren. Beide hatten bereits die Schwerter gezogen, um in den tobenden Kampf einzugreifen. Kurz bevor sie die kleine Gruppe um Randolf erreichte, beobachtete Henrika, wie er seinen Gegner mit einem kraftvoll ausgeführten Schlag aus dem Sattel hob.
Das brennende Holz des ehemals so sicheren Tores war zusammengefallen und hatte den Angreifern ein ungehindertes Eindringen in den Hof ermöglicht. Henrika ritt rechts an den kämpfenden Männern vorbei, wobei sie sich zwang, weiterhin geradeaus zu blicken. Für einen Moment war ihr so, als hätte sie ihren Namen gehört, doch in dem tosenden Geschrei der Männer und dem lauten Knacken des brennenden Holzes war sie sich nicht sicher. Kurz bevor sie den schutzlosen Hof erreicht hatte, zügelte sie ihr Pferd und riss es hart zur Seite herum, um einem der Männer auszuweichen, der sich aus dem Kampf mit Goswin und Brun gelöst hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde ruhte ihr entsetzter Blick auf der Übermacht, gegen welche die beiden Brüder verbissen Rücken an Rücken kämpften, dann dirigierte sie Leiba in Richtung des Stalls.
Nach einem harten Schlag gegen ihre linke Schulter landete sie jäh auf dem Boden, und die Schreie und Rufe klangen wie durch einen dichten Nebel. Dann riss jemand sie hoch, und Randolf schrie sie mit wutverzerrtem Gesicht an: »Lauf ins Haus!«, wobei er sie unsanft schubste.
Henrika stolperte durch den beißenden Rauch und erreichte endlich unbehelligt das Tor des Stalls, den sie die ganze Zeit über unbedingt hatte erreichen wollen. Und das nicht nur, weil sie als Familienmitglied wusste, dass ihr Onkel dort vor langer Zeit ein sicheres Versteckfür Mathilda und die Kinder geschaffen hatte. Schwer atmend lehnte sich die junge Frau mit dem Rücken an die derbe Tür und spähte auf das schreckliche Durcheinander. Erleichtert sah Henrika, dass vier ihrer Begleiter ebenfalls den Hof erreicht hatten und zwei davon je einen Widersacher ihrer Verwandten übernahmen. Sie verzog das Gesicht, als sie sich an die
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