Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
Demütigungen zu rächen, die sie ihnen zugefügt hatten.
Nobu hätte überglücklich sein sollen. Etwas Besseres als die Kriegserklärung der Regierung gegen die Kartoffelsamurai hätte sich ein Mann aus Aizu gar nicht vorstellen können. Doch die Freude wurde ihm durch die Tatsache vergällt, dass der Feind, gegen den sie kämpften, Takas Clan war, angeführt von General Kitaoka. Nobu graute davor, auf dem Schlachtfeld seiner alten Nemesis, ihrem Bruder Eijiro, gegenüberzustehen oder den Befehl zu erhalten, ihren geliebten Vater anzugreifen. Schlimmer noch war die Furcht, Taka könnte in Gefahr sein. Er konnte nicht aus vollem Herzen feiern, wie es ein loyaler Aizu sollte und wie es seine Brüder und Clan-Mitglieder taten.
In der Militärakademie waren alle viel zu aufgeregt, um zu lernen. Nobu wurde zum Leutnant befördert, mit einem Snider-Gewehr ausgerüstet, und er verbrachte seine Tage auf dem Schießplatz, um zu lernen, wie man mit dem schweren Hinterlader umging, bis er jedes Mal ins Schwarze traf. Regelmäßig wurden Manöver abgehalten, bei denen die Soldaten zu Tausenden Aufstellung nahmen, das Gewehr präsentierten, marschierten und in perfektem Gleichschritt zu den gebrüllten Befehlen ihrer französischen Ausbilder kehrtmachten:
»Attention! En avant – marche!«
»Sur le pied droit, halte. Repos!«
Sie marschierten in prächtigen Uniformen und mit glänzenden Gewehren durch die Stadt, vorbei an den staunenden Menschenmengen am Straßenrand.
Nobu hatte das Gefühl, es geschafft zu haben. In der Kaserne war jeder Moment des Tages geregelt – Wecksignal im Morgengrauen, Anwesenheitsappell, Uniforminspektion, Exerzieren, Frühstück und so weiter. Er brauchte sich keine finanziellen Sorgen zu machen, darüber, wo er unterkommen oder wo er die nächste Mahlzeit finden würde. Und es gab keinen einzigen freien Augenblick, in dem er innehalten und nachdenken konnte, über Taka und Jubeis Tod und die schrecklichen Ereignisse des Sommers. Er gehorchte Befehlen, verlor sich in der täglichen Routine des Armeelebens, und das war alles. So war es am besten. Nachdenken verursachte nur Schmerz und Verwirrung.
Dann, am 11. April – nach dem neuen Kalender –, ertönte der Befehl, auf den er gewartet hatte. Zusammen mit seinen Kameraden packte Nobu seinen Tornister, schnallte die leuchtend rote Decke darauf und ein zusätzliches Paar Stiefel an jede Seite, zog seine Uniform, den Mantel und die Kappe an, schnallte sein Schwert um, nahm sein Gewehr und stieg mit stolz erhobenem Kopf in den Zug nach Yokohama. Dort nahm er mit Tausenden anderer am Kai Aufstellung, um zu dem hoch aufragenden Mitsubishi-Truppentransporter übergesetzt zu werden.
Wie alle anderen verbrachte Nobu seine ersten Tage an Bord ausgestreckt auf seiner Koje, stöhnte und würgte bei jedem Stampfen und Schlingern des Schiffes. Doch sobald er seefest wurde, kehrte er wieder zur Arbeit zurück. Während die meisten anderen die Fahrt trinkend, spielend und jammernd verbrachten, reinigte er jeden Tag sein Gewehr und gab hin und wieder ein paar Schüsse ab, um es funktionsfähig zu halten. Den Rest der Zeit verbrachte er über seinen Lehrbüchern und büffelte französische Militärtaktiken. Bald würde er seine ganze Ausbildung unter Beweis stellen müssen, und er wollte auf alles vorbereitet sein.
»Diese Kerle behaupten, sie kennen dich.« Sakurai ragte über ihm auf und stieß einen kleinen, krummbeinigen Burschen in die Kabine. Grummelnd machten Nobus Kameraden Platz, als der Mann über Tornister und zusammengerolltes Bettzeug stolperte. »Wehrpflichtige«, fügte Sakurai naserümpfend hinzu. »Die Götter mögen wissen, wann der hier sich das letzte Mal gewaschen hat.« Sato, einer von Sakurais Kumpanen, stand an der Tür und hielt einen zweiten Mann beim Genick gepackt.
Die Wehrpflichtigen hatten das verkümmerte, hohlwangige Aussehen von Stadtbewohnern oder Bauern. Sie trugen schlecht sitzende, zerknitterte Uniformen, deren Ärmel ihnen über die Handgelenke baumelten, und traten unbehaglich von einem Fuß auf den anderen, als wären sie nicht an Lederstiefel gewöhnt.
Alle Offiziersanwärter blickten mit Verachtung auf die Wehrpflichtigen herab. Nobu hatte nur wenig Gutes und eine Menge Schlechtes über sie gehört. Er wusste, dass die Armee angesichts der Bedrohung aus dem Süden dringend auf militärische Stärke angewiesen war und das neue Wehrpflichtgesetz dazu benutzte, Tausende unausgebildeter Rekruten einzuziehen, doch
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