Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
sprach jemand die gefürchteten Worte aus: »Die Armee.« Die Frauen nickten, flüsterten entsetzt: »Die Armee. Die Armee kommt.«
»Das kann nicht sein«, sagte Taka. »Warum sollten sie die Armee hierherschicken?«
Einen Augenblick später begann eine Glocke zu läuten, dann noch eine, bestätigten die Worte des Dieners, zuerst Feuerglocken, hoch und dünn, dann Tempelglocken, ein tiefes, sonores Dröhnen, bis jede einzelne Glocke der Stadt ein wildes Geläut verbreitete, das in Takas Kopf nachhallte und ihr Herz ängstlich schlagen ließ.
Yukos Schwester Masako, hochgewachsen und furchtlos, in gefalteten Hakama-Hosen wie ein Mann, funkelte den jammernden Diener an. »Wie viele?«, blaffte sie über das Glockengeläut hinweg. »Wie viele? Wer hat sie gesehen?«
»Ein … ein Bote kam«, stammelte der alte Mann. »Späher haben … Botschaften geschickt. Vier Schiffe, vielleicht fünf, auf der anderen Seite der Halbinsel, halten auf die Landspitze zu. Vielleicht einen halben Tag entfernt …«
Takas Magen verkrampfte sich. Da alle Männer fort waren, gab es niemanden mehr, der sie verteidigen konnte. Eingeklemmt auf einem schmalen Landstreifen mit Bergen zu einer Seite und dem Meer auf der anderen, war die Stadt hoffnungslos ungeschützt. Selbst die Burg besaß keine Verteidigungsanlagen, nur eine Mauer, einen Burggraben und eine Brücke, die direkt auf das Gelände führte. Das Haus, in dem sie sich jetzt befand, mit seinen Gärten, dem Bach und dem Karpfenteich, lag nur ein paar Schritte vom Hafen entfernt.
Beim vorherigen Besuch hatte sich die Armee nur umgeschaut und war wieder abgezogen. Doch diesmal konnte niemand an ihrer Absicht zweifeln. Diesmal waren sie gekommen, um die Stadt einzunehmen.
»Aber warum?«, fragte Taka, ihre Stimme nicht mehr als ein zitterndes Quieksen. »Hier ist doch niemand, nur Frauen und Kinder und Stadtbewohner. Wir sind keine Bedrohung.«
Masako richtete sich auf. »Was erwartest du von diesen Gaunern in der Regierung? Sie haben gewartet, bis unsere Männer fort waren, und dann die Armee geschickt, um stattdessen uns anzugreifen. Feiglinge, allesamt Feiglinge sind sie.«
Taka blickte grimmig zu Boden. Masako war viel zu gescheit, ihre eigenen Worte zu glauben. Sie wollte nur den Kampfgeist aller stärken. Viel wahrscheinlicher war, dass die Armee ihren tapferen Satsuma-Kriegern zahlenmäßig weit überlegen war. Vermutlich verfügte sie über genügend Soldaten, um Kampfverbände in die Berge gegen ihren Vater zu senden, andere Einheiten hierher auf den Weg zu schicken und noch andere über die Insel ausschwärmen zu lassen. Oder ihre Männer waren besiegt worden. Vielleicht war das der Grund, warum die Regierung die Armee zur Einnahme der Stadt geschickt hatte. Taka sah die gleiche Besorgnis auf allen Gesichtern, doch niemand wagte, den Gedanken auszusprechen. Sie fürchteten sich alle davor, dass er sich bewahrheiten könnte, wenn sie ihn in Worte fassten.
Yukos große Augen blitzten. Ihr Kampfgeist musste nicht gestärkt werden. »Wir bilden ein Frauenkorps. Von uns sind genug übrig. Wir kämpfen bis in den Tod.«
»Wir haben nur Schwertlanzen. Damit können wir nicht gegen Soldaten mit Gewehren kämpfen, das wäre Selbstmord«, schnaubte Fuchi, eine schwerknochige Frau vom Nachbaranwesen, die ihre Schwertlanze rhythmisch schwang, als mähte sie ein Feld ab. Ihr Mann und ihre Brüder waren in die Berge gezogen, um an der Seite von Takas Vater zu kämpfen.
»Wir müssen unsere Sachen packen und von hier verschwinden«, keuchte eine schmalwangige jüngere Frau mit zitternder Stimme.
Die Glocken läuteten laut und beharrlich, machten das Denken schwer. Die Dienstboten kamen herausgerannt, um die Frauen ins Haus zu holen. Taka holte tief Luft. »Ihr nennt euch Samurai und weigert euch, euer Leben zu riskieren? Wie kannst du davon sprechen, wegzulaufen?«
Die Frauen funkelten sie wütend an. Taka erkannte, dass sie ihren Vater dafür verantwortlich machten, glaubten, er habe sie im Stich gelassen. Vielleicht hatte er angenommen, die Armee würde Kagoshima niemals angreifen, oder es gar nicht in Betracht gezogen. Jetzt war es zu spät. Als seiner Tochter blieb ihr nichts anderes übrig, als hierzubleiben und für diese geschwächte Stadt zu kämpfen.
»Du bist noch ein Kind«, knurrte die jüngere Frau mit bleichen Lippen. »Du weißt nicht, was Krieg ist. Armeen richten schreckliche Dinge an. Hierzubleiben, wenn sie eintreffen, wäre Wahnsinn.«
»Wir haben ein
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