Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
solchen Waffe umgeht. Man muss für alles gerüstet sein, hat mein Vater immer gesagt.« Er hatte sie angeblickt, als wäre er aus einem Traum erwacht, und sein Gesicht war weicher geworden. »Aber für Sie ist das etwas anderes. Sie führen ein so behütetes, friedvolles Leben. Sie werden dieses Haus nie verteidigen müssen. Sie brauchen für nichts gerüstet zu sein.«
Seither hatten sich die Dinge geändert. Jetzt musste Taka sich für alles rüsten. Sie musste eine Kriegerin sein.
Noch am gleichen Tag war sie in den Samurai-Bezirk der Stadt gegangen und vor dem eindrucksvoll geziegelten Tor einer der Residenzen entlang der breiten Allee gegenüber der Burg stehen geblieben. Gerade hatte sie allen Mut zusammengenommen, um den Torwächter anzusprechen, als eine junge Frau herauskam.
Yuko und ihre ältere Schwester Masako waren die Töchter eines ranghohen Befehlshabers der Satsuma-Armee, ein enger Vertrauter von Takas Vater. Ihre Brüder, Onkel und Vettern waren alle in den Krieg gezogen, und nur die Frauen und Kinder waren zurückgeblieben. Wie Taka und ihre Mutter waren sie glühend stolz auf ihre Männer und auch zutiefst besorgt um sie, obgleich sie es sich nicht anmerken ließen.
Die Samurai-Frauen erinnerten Taka an die Mädchen aus ihrer Schule – großäugig und unschuldig, doch gleichzeitig tapfer und entschlossen. Sie bewunderte ihren Elan und fühlte sich unter ihnen seltsam zu Hause. Vielleicht lag es an der Kriegszeit, vielleicht daran, dass sie die Tochter von General Kitaoka war, jedenfalls hießen sie Taka willkommen. Sie schienen sich nicht daran zu stören, dass Takas Mutter eine Geisha war. Sie waren froh um jeden, der zu ihnen stieß und sie unterstützte. Alle wussten, dass sie wachsam sein mussten, dafür gerüstet, ihre Stadt zu verteidigen.
Gern waren sie bereit, Taka den Umgang mit der Schwertlanze beizubringen. Das bedeutete täglich wieder blaue Flecken und schmerzende Muskeln, und Taka erkannte bald, dass es ein langer, harter Weg für sie werden würde. Sie neckten sie damit, ein verweichlichtes Stadtmädchen zu sein, doch sie war entschlossen, ihnen zu beweisen, dass sie genauso gut kämpfen konnte wie sie. Und nach und nach bekam sie den Bogen heraus, als hätte sie sich in eine Kriegerin verwandelt, die vor Nobu, aber auch vor ihrem Vater bestehen würde.
31
Die Morgensonne wärmte Takas nackte Arme, während sie den Übungsstock ausbalancierte, sein Gewicht in den Händen fühlte. Sie hörte das Rauschen des Baches, der durch das Grundstück floss und sich in einen Teich mit fetten orangefarbenen Karpfen ergoss.
Seit einem Monat lernte sie nun, mit der Schwertlanze zu kämpfen, schloss sich jeden Tag den Samurai-Frauen an, um bis zum Abend zu üben. Ein Monat war nicht lang; die anderen hatten alle seit ihrer Kindheit trainiert. Aber wenn Takas Arme so schmerzten, dass sie es kaum ertragen konnte, wenn sie sich mutlos fühlte und glaubte, sie würde sich nie verbessern, dachte sie an ihren Vater und an Nobu. Sie musste es schaffen, für sie. Und allmählich bekam sie das Gefühl, dass die schwere Schwertlanze ein Teil von ihr war, eine Verlängerung ihres Körpers.
Mit der Vorstellung, ein stämmiger Samurai-Krieger stürze auf sie zu, schloss sie die Augen und rief sich die vier Angriffspunkte ins Gedächtnis – Kopf, Schienbein, Hals und Unterarm. Sie atmete tief ein, wappnete sich und machte sich bereit zuzuschlagen.
Plötzlich war ein lauter Ruf zu hören, irgendwo außerhalb des Anwesens. Er übertönte das Krachen von Holz auf Holz, die Schreie der Frauen und das Krächzen der Krähen.
Das Geräusch unterbrach Takas Konzentration. Sie zögerte und schaute zu Yuko. Doch Yukos Blick war nicht mehr auf sie gerichtet.
Ein weiterer Ruf, dann noch einer. Schritte donnerten durch die stillen Straßen. Die Frauen senkten ihre Schwertlanzen, Augen und Münder weit geöffnet. Irgendetwas musste passiert sein – aber was?
Dann kam ein weißhaariger Diener auf sie zugeeilt, humpelte über das Gras und fiel fast hin.
»Schiffe, eine ganze Flotte«, keuchte er. »Halten auf uns zu.«
Aus den Gesichtern der Frauen wich alle Farbe. Der Hafen war voller Schiffe. Kaufleute transportierten Güter zur und aus der Stadt auf Schiffen und Frachtkähnen, und Menschen pendelten in unzähligen Booten um die Bucht. Der ganze Verkehr der Stadt wurde über das Wasser abgewickelt. Doch eine Flotte … Das konnte nur eines bedeuten: Kriegsschiffe.
Ein langes Schweigen entstand. Dann
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