Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
Boot«, sagte Fuchi. »Wir nehmen euch mit. So viele wir unterbringen können.«
Masako packte ihre Schwertlanze fester. »Niemals. Ich bleibe.«
»Ich auch«, sagte Yuko.
Mit einem Seidenrascheln eilten die Frauen auf das Haus zu. Taka wollte ihre Schwertlanze einem der Dienstboten reichen, doch Yuko drückte sie ihr in die Hand zurück. »Behalt sie. Wir haben genug davon.«
Taka raffte ihre Röcke, rannte über das Anwesen und aus dem Tor hinaus. Sie musste zu ihrer Mutter. Bald ließ sie die Samurai-Residenzen mit ihren verputzten Mauern hinter sich und erreichte den Städterbezirk mit seinem Staub, Lärm und Gestank. Die engen Straßen waren voller Menschen, beladen mit Bündeln und Kleidung, so viele Menschen, dass Taka kaum erkennen konnte, wohin sie lief. Einmal verpasste sie einen Abzweig und erkannte voller Panik, dass sie in die falsche Richtung rannte. Jungen drängten sich durch, brüllten in voller Lautstärke, gebeugt unter Rikschas, hoch beladen mit Bettzeug, Truhen, Kissen und Tischen, sogar Türen und Tatamimatten. Über all dem Lärm läuteten die Glocken wie wild.
Taka versuchte einen Weg durch die Menge zu erkennen, ihre Schwertlanze erhoben, als eine rotgesichtige Stadtfrau mit einem bauschigen Haarknoten sie am Ellbogen packte. »Beeil dich! Beeil dich!«, kreischte sie. »Die Armee kommt. Die Soldaten werden uns vergewaltigen und töten und die Stadt niederbrennen.«
Die Frau hieß Matsu und war die Ehefrau eines wohlhabenden Kaufmanns. Sie trug fünf oder sechs Seidenkimonos, einen über den anderen, und schnaufte schwer. Goldfutter blitzte an Ärmelsaum und Kragen auf. Ihre gepuderten Wangen waren fleckig von Schweiß.
»Omatsu-sama, was ist hier los? Wohin wollen all die Leute?«
»Zum Hafen. Jemand hat ein Boot mit dem Familienwappen des Fürsten gesehen, auf dem Weg zum Sakurajima. Selbst er flieht. Wo ist deine Mutter? Lauf und hol sie.«
Als Matsus Blick auf die Schwertlanze mit dem lackierten Schaft fiel, blieb ihr der Mund mit den geschwärzten Zähnen offen stehen. Doch im nächsten Moment riss die Menge sie mit. Sie drehte sich noch einmal um und deutete hektisch zum Hafen.
Im Geisha-Viertel herrschte unheilvolle Stille. Zwei Frauen stolperten unter so riesigen Bündeln dahin, dass sie kaum darübersehen konnten. Sie eilten in die andere Richtung, fort vom Hafen.
»Wir haben Verwandte in den Bergen«, riefen sie. »Komm mit uns.«
Taka wollte sie nach ihrer Freundin Toshimi fragen, aber sie eilten weiter, bevor sie dazu kam.
Atemlos erreichte sie schließlich das einzige Haus im Viertel, vor dem keine Laterne anzeigte, dass es für Gäste geöffnet war. Als sie die Tür aufschob, hörte sie die Stimme ihrer Mutter, beunruhigend leise. »Mir ist egal, was du sagst. Ich kenne meine Pflicht.«
»Aber du weißt doch nicht mal, wo sie wohnt.« Tante Kiharus Stimme klang fast hysterisch.
Taka schnappte nach Luft. Sie meinte zu ahnen, wovon Fujino sprach, obwohl es schwer vorstellbar war, dass sie so fehlgeleitet sein konnte.
Rasch schlüpfte sie hinein. Die Fensterläden waren zurückgeschoben, und fahles Licht sickerte durch die vergilbten Shoji. Tante Kiharu band mit zitternden Fingern ein Einwickeltuch zu, während Okatsu Kimonos in ihren Papierhüllen sortierte, mit einem Ausdruck schweigender Resignation auf ihrem hübschen runden Gesicht. Sie blickte erst Taka an und wandte dann den Blick vielsagend zu den beiden älteren Frauen.
Fujino saß auf den Knien. Selbst in einem Kimono statt einem unförmigen westlichen Kleid nahm sie fast den ganzen Raum ein. Sie glättete ihre Röcke. »Den Göttern sei Dank, dass du da bist, mein Kind. Wir müssen sofort aufbrechen.«
Taka lehnte die Schwertlanze an die Wand. Die Worte ihres Vaters hallten ihr durch den Kopf: Gib auf deine Mutter acht . Sie erinnerte sich, wie tapfer und unbeugsam ihre Mutter in Kyoto gewesen war, wie sie die Tür mit ihrer enormen Körperfülle blockiert hatte, als die feindlichen Soldaten nach ihm suchten. Sie war nicht nur furchtlos, sondern regelrecht tollkühn.
Fujino deutete auf die Schwertlanze. »Du hast doch nicht etwa vor, dich damit zu verteidigen? Du und diese Samurai-Freundinnen von dir. Wir haben uns schon gefragt, wo um alles in der Welt du bist.«
»Es tut mir leid, Mutter. Uns bleibt keine Zeit zum Packen. Wir sollten nur das Nötigste mitnehmen und gehen. Kann sein, dass wir auf ein Boot warten müssen.«
»Wir nehmen kein Boot«, sagte Fujino. »Wir gehen ins Haus der
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