Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
klebrig vom Öl, verblichene Briefe ihres Vaters, Dinge, die ihre Mutter nicht würde zurücklassen wollen. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit hatte sie gehofft, etwas zu finden, das sie an Nobu erinnerte, doch das Einzige war das Amulett gewesen, das sie Kuninosuké gegeben hatte. Wenigstens hoffte sie, dass es ihn vor Gefahr beschützte, sie alle beschützte.
Dann hatte sie Schritte in der Stille gehört. Sie hatte sich auf die Fersen gesetzt und gelauscht, hatte sich gefragt, wer in dieser Geisterstadt unterwegs sein könnte. Nicht das Knirschen von Strohsandalen oder das Klappern von Holzschuhen, sondern Stiefel, die durch die Straße stapften. Sie war auf den Balkon gekrochen und hatte gerade lange genug hinabgespäht, um eine ganz in Schwarz gekleidete Gestalt mit einem Gewehr über der Schulter zu erblicken, die auf das Haus zukam. An der Kleidung und der Kappe erkannte sie, dass es kein Plünderer war, sondern etwas viel Beängstigenderes – ein feindlicher Soldat.
Die Stiefel marschierten vorbei, und Taka stieß einen erleichterten Seufzer aus, dann begann ihr Herz wieder zu hämmern, als die Schritte kehrtmachten, zurückkamen und direkt vor ihrer Tür stehen blieben.
Plötzlich fiel ihr zu ihrem Schreck ein, dass die Tür nicht verschlossen war. Taka hatte geglaubt, in diesem heruntergekommenen Viertel vor Plünderern und Soldaten sicher zu sein. Wobei ein Schloss gegen Soldatenstiefel nicht viel ausgerichtet hätte. Soldaten würden wahrscheinlich nicht mal prüfen, ob es ein Schloss gab. Taka saß still wie eine Maus, erwartete, ein ohrenbetäubendes Krachen und das Splittern von Holz zu hören. Lange blieb es still, dann klopfte es. Ein furchtsamer Schauder durchrieselte sie.
Taka nahm all ihren Mut zusammen. Ihre Mutter hatte sich den Soldaten entgegengestellt, als die in ihr Haus in Kyoto eingedrungen waren. So stark musste sie auch sein. Ihre Schwertlanze war unten, nicht weit von der Tür entfernt. Wenn sie an ihre Waffe herankam, würde sie ihm zeigen, was eine Satsuma-Frau wert war. Sie stand auf, schob sich zur Treppe und schlich Stufe um Stufe hinunter.
Der Eindringling klopfte wieder und rüttelte an der Tür. Keuchend vor Furcht, kaum fähig zu atmen, kauerte sie sich in die Dunkelheit und überlegte, warum er sich von allen Häusern in der Straße ausgerechnet dieses ausgesucht hatte. Wie hatte er wissen können, dass jemand hier war? Erstarrt sah sie zu, wie der bleiche Streifen breiter wurde und Tageslicht hereinflutete, gesprenkelt von Staub und Fliegen. Eine hochgewachsene Gestalt trat ein, umrahmt von verschwommener Helligkeit, wie ein Dämon in einer Aureole aus Flammen, mit einem Geruch nach Stärke, Stiefelwichse und Waffenöl.
Wie gebannt starrte sie auf die dunkle Silhouette und überlegte, ob sie es schaffen würde, wieder die Treppe hinaufzurennen. Oben gab es Eisenkessel und schwere Vasen, die sie auf ihn werfen konnte, oder sie konnte versuchen, die Truhe umzukippen und auf ihn zu wälzen. Aber sie zitterte so sehr, dass ihre Glieder ihr einfach nicht gehorchen wollten.
Dann tauchten Gesichtszüge aus dem Schatten auf – wohlgeformte Wangen, eine scharfe, fast aristokratische Nase, geschwungene, volle Lippen –, und sie merkte erschrocken, dass es überhaupt kein Dämon war. Sie kannte dieses Gesicht, hatte es unzählige Male in ihren Träumen gesehen.
Er war gekommen, ihr geliebter Nobu, nach all dieser Zeit. Oder sah sie Gespenster? Konnte er es wirklich sein? Benommen presste sie die Hände aneinander und spähte erwartungsvoll in die Dunkelheit.
Sie wollte aufspringen, die Treppe hinunterrennen, sich ihm in die Arme werfen und rufen: »Du! Du bist es!« Doch dann sah sie seine Uniform, die weißen Gamaschen, das Glänzen der Knöpfe und die unverwechselbare Form eines Gewehrs.
Zitternd sackte sie zurück gegen die Wand und ballte die Fäuste. Ihre Gedanken rasten. Der junge Mann, um dessen Rückkehr sie gebetet hatte, war ein Träumer gewesen, dessen Beinlinge und schlottrige Baumwolljacken ihm nie ganz zu passen schienen. Der hier war ein feindlicher Soldat. Das war überhaupt nicht er. Die Götter hatten ihr Gebet erhört, die Erfüllung aber mit einem schrecklichen Stachel versehen.
Der Eindringling schloss die Tür, und wieder trat Dunkelheit ein, wie der plötzliche Einbruch der Nacht.
»Taka.« Diese Stimme, die geliebte Stimme mit dem nördlichen Schnarren, die Stimme, nach der sie sich so gesehnt hatte. Doch es spielte keine Rolle, wer er war, er war
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