Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
der Feind.
Strauchelnd kam sie auf die Füße, stützte sich Halt suchend an die Wand und tastete nach dem Dolch in ihrem Obi. Sie würde diesen Mann töten, und sich auch. Etwas anderes blieb ihr nicht mehr übrig.
Taka öffnete den Mund, brachte aber keinen Laut heraus. Sie leckte sich über die Lippen. »Komm mir nicht näher«, flüsterte sie.
Er beugte sich hinab, fummelte an seinen Gamaschen. »Taka, Taka, ich kann es nicht fassen. Bist du es wirklich?« Seine Stimme zitterte. Sie hörte ihn atmen, rasch und flach. Er war genauso erschrocken wie sie.
»Verschwinde.« Ihre Stimme war nur ein Krächzen. »Du gehörst nicht hierher. Wir sind Feinde. Verschwinde.«
Noch nie hatte sie solche Verzweiflung empfunden. Sie schloss ihre Hand um die Seidenbindung des Griffes, zog den Dolch aus der Scheide und fiel fast, als sie einen Schritt auf Nobu zu machte. Taka hob den Arm. Sie würde zustoßen, und dann wäre alles vorbei.
Er blickte sie durchdringend an.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich dich finden würde.« In der Dunkelheit funkelten seine Augen. »Ich danke den Götter, dass du in Sicherheit bist.«
Taka ließ den Arm sinken und steckte den Dolch zurück in den Obi. Ihre Knie gaben nach, und sie sank auf die Treppe. Tränen rannen ihr über die Wangen. »Ich habe auf dich gewartet, habe gebetet, dass du kommen würdest, und du hast mir nie geschrieben, kein einziges Wort«, schluchzte sie. »Und jetzt kommst du, wo wir im Krieg sind, wo du gegen meinen Vater und meinen Bruder kämpfst. Es ist zu spät, verstehst du das nicht? Zu spät.«
Wegen der geschlossenen Türen war es heiß und stickig. Taka fühlte sich schmutzig und klebrig vor Schweiß.
»Unsere Clans mögen Feinde sein, aber wir nicht, du und ich. Wir gehören zusammen. Du bist nur eine halbe Satsuma, vergiss das nicht. Deine Mutter ist reines Kyoto.« Das hatte er schon mal gesagt, als er in ihren Garten geschlichen war und sie zusammen unter den Sternen gesessen hatten. »Verzeih mir, ich wollte dich nicht erschrecken, aber wir müssen rasch von hier fort. Es könnte Kämpfe geben. Die Armee wird die Stadt niederbrennen, um Befestigungsanlagen zu bauen. Du sitzt hier wie ein Fuchs in der Falle. Ich werde dich in Sicherheit bringen.«
»Die Stadt niederbrennen?«, keuchte sie. »Mich in Sicherheit bringen?«
Nobu legte das Gewehr ab und kniete sich hin. »Was machst du hier ganz allein? Wo sind deine Mutter und Okatsu?«
Taka beäugte ihn in der Dunkelheit, stärker beunruhigt denn je. Er konnte sie verhaften, sie als Geisel nehmen, wenn er wollte, aber sie würde ihre Mutter nie verraten. Wenn ihr auch nur eine Andeutung entschlüpfte, wo sie war, könnte sie Madame Kitaoka ebenfalls verraten. Das war undenkbar.
Sie erforschte sein Gesicht, versuchte, Heimtücke darin zu entdecken. Vielleicht war er ein Fuchsgeist, der menschliche Form angenommen hatte – er war der Fuchs, nicht sie. Oder er war vielleicht ein Dämon, mit Nobus Gesichtszügen, aber dem Körper eines Feindes, heraufbeschworen von ihrer Einsamkeit und Sehnsucht. Er konnte doch nicht von so weit her gekommen sein, nur um sie zu täuschen?
Sie legte die Hände vors Gesicht und stieß ein langes verzweifeltes Stöhnen aus.
»Es spielt keine Rolle.« Sein Ton war sanft. »Wir müssen fort. Bald werden Soldaten das Viertel durchsuchen. In der Armee gibt es gute Männer, aber auch schlechte, die dich als Hauptpreis betrachten würden. Du brauchst mir nicht zu glauben, aber begreife wenigstens das.«
»Ich bin kein Dummkopf«, erwiderte sie durch die Finger. »Ich bin General Kitaokas Tochter und weiß, wie wertvoll ich sein könnte. Woher soll ich wissen, dass man dich nicht geschickt hat, um mich gefangen zu nehmen, weil du glaubst, ich vertraue dir?«
»Nein, keiner hat mich geschickt, keiner weiß, dass ich hier bin. Ich bin allein gekommen. Als ich hörte, dass du in Kagoshima bist, musste ich dich finden. Ich kann dir nichts beweisen, ich kann nicht beweisen, dass ich die Wahrheit sage, außer … außer … dem, was ich deiner Familie schuldig bin, der Freundlichkeit deiner Mutter und … und meinen Gefühlen für dich. Wie kannst du daran zweifeln?«
»Nachdem ich so lange nichts von dir gehört habe?«
Er warf ihr einen gequälten Blick zu. »Ich kann alles erklären, aber später, später. Bitte vertrau mir. Ich schwöre dir bei allem, was mir heilig ist, ich schwöre beim Grab meiner Mutter, dass ich dir nie ein Leid antun werde.«
Zitternd wich sie
Weitere Kostenlose Bücher