Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
hätte er es komisch finden können, wenn die Lage nicht so verzweifelt gewesen wäre. Und hier waren sie, freuten sich auf einen Kampf, wenngleich sie nicht viel Ruhm für einen einsamen Rebellen einheimsen würden. Das Problem war nur, dass diese Burschen im Gegensatz zu den Wehrpflichtigen durchaus wussten, wie man mit einem Gewehr umging.
Sie hasteten um die Ecke, aus der Schusslinie heraus. Ein weiterer Knall ertönte, und eine Kugel schlug in die Straße dicht hinter ihnen ein. Nobu blickte sich um. Sie befanden sich in einer schmalen, gewundenen Gasse, gesäumt von so hohen Hecken, dass man nicht darübersehen konnte. Der reinste Irrgarten. Die Stiefel kamen näher.
Sie rannten von einer Gasse in die nächste, um ihre Verfolger abzuschütteln, blieben stehen, hörten das Trappeln der Stiefel und das Keuchen der Soldaten. Inzwischen waren es mehr als zwei Stiefelpaare. Die Wehrpflichtigen mussten sich ihnen angeschlossen haben.
Nobu merkte, dass sie im Kreis liefen. Ganz gleich, wohin sie abbogen, sie konnten nicht entkommen. Plötzlich gelangten sie auf eine breite Allee. Entsetzt blickte er sich um. Hier waren sie völlig ungeschützt. Die Straße war von Häusern gesäumt, mit Brettern vernagelt und verriegelt, die Gärten von hohen Mauern oder Hecken umgeben, die Tore verschlossen. Hunde schlichen herum, und eine Katze huschte unter eine Hecke. Eine friedvolle, ländliche Szenerie, nur dass kein Mensch zu sehen war.
Die Schritte kamen näher. Soldaten brachen aus dem Gebüsch am Ende der Straße hervor, und eine Kugel wirbelte Staub auf.
Verzweifelt machten Nubo und Taka kehrt und tauchten wieder im Gassengewirr unter. Taka stolperte. Sie war erhitzt und keuchte. Nobu rannte die Gasse hinauf, an zwei Toren vorbei, schob dann eines auf, packte Taka am Arm und zog sie hinein, stieß das Tor zu und verriegelte es. Sie kauerten sich dahinter. Blätter raschelten, und Nobu legte den Finger an die Lippen. Er hoffte, Taka würde nicht bemerken, dass er schwitzte und wie sehr seine Hände zitterten. Er atmete ein paarmal tief durch und schaute sich um. In den Brettern des Tores gab es Ritzen, und zwischen den dichten Blättern und Ästen der Hecke war ein Spalt, gerade groß genug für ein Gewehr.
Die Männer polterten die Gasse hinunter, schlugen auf die Hecken und traten gegen Tore. Einen Augenblick später erreichten sie Nobus und Takas Versteck.
»Wo ist er hin, dieser Hundesohn?«, knurrte einer der Verfolger. Nobus Herz schlug so laut, dass er sicher war, der Mann müsste es hören. »Komm raus, wir tun dir nichts.« Er zuckte zusammen, wusste, dass es eine List war. Das konnte doch wohl nicht … Vorsichtig spähte er durch die Blätter und erkannte eine breite Stirn und kräftige Schultern. Ausgerechnet. Sakurai. Nobu wagte keinen Muskel zu bewegen aus Furcht, die Hecke in Bewegung zu setzen. Der andere musste Sato sein, und die hinter ihnen waren die Wehrpflichtigen.
Die Soldaten schlugen mit ihren Gewehrkolben auf die Hecke, ließen Blätter und Staub herabregnen. Im nächsten Moment wären die Flüchtigen entdeckt. Nobu blieb nichts anderes übrig, als zu schießen. Seine Hände waren feucht. Er hatte sein Gewehr bisher nur für Zielübungen benutzt, nie im Ernstfall, und schon gar nicht, um es gegen einen Kameraden abzufeuern. Fieberhaft fummelte er unter seinem Gewand nach dem Munitionsbeutel, tastete nach einer Kugel, spannte den Hahn des Gewehrs und ließ die Kugel in die Kammer gleiten. Stirnrunzelnd versuchte er sich an alles zu erinnern, was er gelernt hatte, und zielte. Es blitzte und knallte ohrenbetäubend, als er die Kugel über Sakurais Kopf hinwegschickte. Keuchend lud er nach.
Jetzt wusste Sakurai, wo sein Widersacher war. Eine Kugel durchbrach die Hecke und schlug direkt neben Takas Fuß ein. Sie sprang zurück. Nobu erschauderte vor Entsetzen. Nur ein Stückchen näher, und sie wäre getroffen worden. Eine Rauchwolke erfüllte die Luft mit dem beißenden Geruch von Schießpulver. Seine erste Kampferfahrung, und dazu gegen seine eigenen Kameraden. Aber Nobu sah keinen anderen Ausweg.
Zeit zum Nachdenken blieb ihm nicht. Entschlossen legte er das Gewehr an. Er wollte Sakurai nicht erschießen, würde es aber tun, wenn es darum ging, Taka zu beschützen.
Taka war aufgesprungen und hastete vom Tor weg. Von der anderen Seite der Straße war ein Klacken zu hören, als hätte jemand gegen einen Stein getreten. Nobu blickte auf und fragte sich, ob sie einen Verbündeten gewonnen
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