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Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Titel: Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Downer
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eine Zukunft geben. Doch nun war er in einem Nebel verloren, ohne Halt, ohne Richtung, ohne Ziel.
    Irgendwo nahebei stritten sich Eijiro und der Offizier, aber Nobu konnte nur das Blut in seinen Ohren rauschen hören, während sich die Felswände um ihn schlossen. Er sackte zusammen, rang nach Luft. Die Hitze war unerträglich. Ein Bild stieg vor seinen Augen auf – ein schäbiger Raum im Obergeschoss, die Nachmittagssonne an einem Frühlingstag in Kagoshima, ihre weiche Haut und die schlanke Taille, der Geschmack ihrer Lippen, ihr langes schwarzes Haar, das in zerzausten Strähnen herunterhing, ihr moschusartiges Parfüm. Wenn dieser Offizier, wenn er …
    Der Gedanke war mehr, als er ertragen konnte. Nobu wünschte, Eijiro würde ihm jetzt gleich die Kehle aufschlitzen und dem Aufruhr in seinem Kopf damit ein Ende bereiten. Aber nein, erst würde er Rache nehmen. Er riss sich zusammen, bereit, den Mann mit bloßen Händen anzuspringen und ihm an die Gurgel zu gehen, ganz gleich, ob er zu Tode geprügelt wurde, bevor er Schaden anrichten konnte.
    Eine Hand packte ihn am Schopf und zog ihn auf die Knie. Eijiros Gesicht glitt in sein Blickfeld. »Nobu, alter Freund«, sagte er mit übertriebener Höflichkeit. »Wirst du uns die Ehre erweisen, uns ins westliche Paradies vorauszugehen und den Pfad für unser Eintreffen zu bereiten?«
    Nobu wollte ihm ins Gesicht spucken, doch sein Mund war wie ausgedörrt. Eijiro hob den Dolch, grinste und zog Nobus Kopf zurück. Nobu wehrte sich heftig. Er war noch nicht bereit zu sterben.
    Plötzlich schloss sich Kuninosukés Hand um Eijiros Handgelenk. Sein Gesicht war dunkel vor Wut.
    »Genug!«, brüllte er. »Wir sind keine Henker. Wir töten im Kampf, nicht kaltblütig. Schauen wir, was dein Vater zu sagen hat.«
    Am Fuß der Felswand gab es Höhlen, jede groß genug, dass zwei Männer darin schlafen konnten. Einige wirkten natürlich, andere, als wären sie in den rauen Fels geschlagen worden. Verwundete Männer lagen im Schatten, die Augen glasig vom Fieber. Ein Musikant saß auf einem großen Stein, zupfte auf einer Biwa, und ein paar Männer waren über ein Go-Spiel gebeugt, wobei ihnen Steine als Spielfiguren dienten. Ein großes Feuer brannte, in dem die Rebellen Metall für Kugeln schmolzen. Im Feuerlicht warfen die zerlumpten Männer und die überhängenden Äste lange Schatten, die über die Felswand flackerten. Hunde liefen umher und knurrten die Neuankömmlinge an.
    Ranken hingen vor der größten Höhle und bildeten einen Vorhang. Eijiro schob sie beiseite und trat ein. Nobu hörte ihn leise sprechen und eine andere, tiefere Stimme antworten. Die Ranken teilten sich, und ein Mann kam heraus.
    Nobus Rippen und Schienbeine waren so geprellt und zerschrammt, dass er kam stehen konnte, doch er spürte, wie ihn unerwartet Ehrfurcht überkam. Er sank auf die Knie. Die hallenden Stimmen verstummten, als sich die Männer einer nach dem anderen umwandten und verbeugten.
    Das also war Takas Vater, der berühmte General Kitaoka. Er überragte Eijiro wie ein Baum einen niedrigen Busch. Der General war nicht nur hochgewachsen, er war gewaltig. Sein Brustkorb, so groß wie ein Sakefass, wölbte sich unter der dünnen Baumwolle seines gestreiften Kimonos, der Bauch quoll über den tief sitzenden Obi, und seine massigen Schenkel waren in blaue Beinlinge gekleidet. Diese beeindruckende Persönlichkeit in der Kleidung eines bescheidenen Bauern zu sehen, war seltsam, wirkte beinahe unpassend. Seine Augen funkelten wie schwarze Diamanten. Er war ein Mann, der sich vor nichts fürchtete.
    Kitaoka schaute Nobu an, als könnte er ihm in die Seele blicken. In der Hand hielt er eine langstielige Pfeife, die er an einem Felsen ausklopfte, als hätte er alle Zeit der Welt. Er räusperte sich. »Mein Sohn berichtet mir, sie hätten dich erwischt, als du den Berghang hinaufgeklettert bist, um zu spionieren.« Nobu starrte auf den staubigen Boden, erwartete einen Schlag auf den Kopf oder den Befehl zu seiner Hinrichtung. Stattdessen war ein leises Glucksen zu hören. Verblüfft hob er den Kopf. Der General hatte einen freundlichen, fast väterlichen Ausdruck in den Augen. »Mutiger Bursche. Schade, dass du nicht auf unserer Seite kämpfst. Männer wie dich könnten wir brauchen.«
    Eijiro spielte mit den Dolch in seiner Hand. »Soll ich ihn verhören, Vater?«
    »Was könnte er uns schon erzählen? Dass wir in der Falle sitzen und nirgendwohin können? Dass die Armee am Fuß des Berges ihr Lager

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