Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
aber kaum waren sie auf dem Bauernhof angekommen, hatte sie sich rasch umgeschaut, erkannt, was getan werden musste, hatte die Ärmel zurückgebunden und losgelegt. Madame Kitaoka war die Hausherrin, und alle fügten sich ihr, doch Fujino sorgte dafür, dass alles reibungslos lief – genau die Rollenverteilung, die man von der Gattin und der Geisha eines Mannes erwarten würde.
Und jeden Tag stieg Taka zur Lichtung auf der Bergkuppe hinauf. Sie sah den Rauch der Schlacht und hörte das Geschützfeuer, als die Rebellen die Stadt einnahmen, und danach, als die Armee sie wieder vertrieb. Dann war Stille eingekehrt, nur die Ruinen der Stadt hatten unter ihnen den langen Sommer durch in der Hitze geflimmert.
Ein Kanonenschuss übertönte die ferne Musik. In der darauffolgenden Stille hörten sie die trotzigen Töne der Flöte wieder über die Hügel wehen. Madame Kitaoka richtete sich auf. Sie war vermutlich im selben Alter wie Takas Mutter, doch ihr graues, zu einem strengen Knoten aufgestecktes Haar ließ sie älter wirken. Über die Monate hatte Taka begonnen, sie zu bewundern, sogar zu mögen. Man kam nicht leicht an sie heran, aber sie hatte einen Stolz, eine eiserne Stärke in sich, eine Weigerung, sich geschlagen zu geben, um die Taka sie beneidete.
»Sie verabschieden sich«, sagte Madame Kitaoka leise. »Sie feiern ihre letzte Nacht auf Erden.« Ein Lächeln huschte über ihre eingefallenen Wangen, das erste, das Taka in all diesen Monaten gesehen hatte. Für gewöhnlich war sie still und in sich gekehrt, doch die Musik schien sie zu beleben. »Wir werden ebenfalls eine glorreiche letzte Nacht feiern. Wir errichten ein Feuer auf der Bergkuppe, ein riesiges Feuer, damit man es von der anderen Seite des Tals sieht. Masa weiß, wo das Bauernhaus steht. Er wird wissen, dass wir es sind.«
Taka starrte sie verblüfft an. Madame Kitaoka hatte die Rolle der nüchternen, fürsorglichen Anführerin der Gruppe einzunehmen, und doch kam sie ihnen mit der ungeheuerlichsten, unbedachtesten Idee, die Taka je gehört hatte. Sie versteckten sich hier. Wenn sie auf der Kuppe ein Leuchtfeuer entzündeten, wäre das ein Signal für die Armee – für jeden –, dass sie hier waren. Taka war sich nicht mal sicher, ob ihr Vater es sehen würde. Woher sollte er wissen, dass sie alle in West-Beppu waren? Und wenn doch, würde er es für eine gute Idee halten, ein Leuchtfeuer zu entzünden und die Armee anzulocken? Plötzlich fühlte sie sich sehr allein. Sie vermisste ihren Vater so sehr. Taka wünschte, er wäre hier, um ihnen zu sagen, was sie tun sollten, und als sie in all die hohlwangigen Gesichter um sich herum schaute, erkannte sie, dass sie ebenso empfanden.
Außerdem konnten sie das Feuerholz nicht entbehren. Das brauchten sie zum Kochen.
Frustriert rang sie die Hände, wandte sich zu ihrer Mutter um und bat sie im Stillen, einzugreifen. Taka war noch zu jung. Ihr stand es nicht zu, sich zu äußern. Aber Fujino strahlte vor Aufregung.
»Wir werden so laut singen, dass sie uns bis über das Tal hören«, rief sie und klatschte in die Hände, die nicht mehr weich und fleischig waren, sondern braun und knochig, mit abgebrochenen Nägeln, genau wie Takas.
»Wenn es das Ende für sie ist, dann ist es auch das Ende für uns!«, verkündete Tante Fuchi, ein Strahlen auf ihrem schmalen, hübschen Gesicht. Taka bewunderte ihre Tanten. Sie konnten nur ein paar Jahre älter sein als sie, waren noch nicht lange verheiratet und dürften nicht erwartet haben, ihre Ehemänner so bald zu verlieren. Seit über einem halben Jahr hatten sie ihre Männer nicht mehr gesehen, wussten nicht, was aus ihnen geworden war, zeigten jedoch niemals auch nur den Anschein von Verzweiflung. Sie waren stolz auf sie, arbeiteten hart, still und klaglos, immer bereit zu einem Lächeln.
»Wir werden den Anlass gebührend feiern«, fügte Tante Kiyo nickend hinzu. Von den beiden war sie sich ihres Ranges stärker bewusst. Sie war eine wettergegerbte Bäuerin, hatte aber trotzdem die stolze Art einer Samurai.
Taka konnte nicht glauben, dass sie die Einzige war, die den Wahnsinn des Ganzen sah. Verzweifelt schaute sie zu Onkel Seppo, doch der lehnte sich auf seinen Stock, die Augen geschlossen, als schliefe er, um die schrillen Stimmen der Frauen nicht an sich heranzulassen.
»Wir müssen sofort beginnen«, drängte Madame Kitaoka. Alle – Frauen, Kinder, selbst Onkel Seppo – stellten sich beim Holzstapel neben dem Haus auf und nahmen so viel
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