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Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Titel: Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Downer
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doch nun verfärbten sich die Blätter, und Gänsescharen waren auf dem Weg nach Süden vorübergeflogen.
    Nach so vielen Monaten kamen ihr die Holzwände und engen Räume, die klapprige Schiebetür und der Küchenbereich mit dem Boden aus festgestampftem Lehm beinahe wie ein Zuhause vor. Sie bemerkte den Holzrauch nicht mehr, der sich in Haaren, Haut und Kleidern festsetzte, oder die Härte des Bodens, auf den sie Schilfmatten zum Schlafen auslegten. Sie hatte fast vergessen, je woanders gewohnt zu haben. Bis auf den alten Wächter sahen sie nie eine Menschenseele, als wäre jeder auf der ganzen weiten Welt umgekommen und sie wären als Einzige übrig geblieben.
    Taka stürzte durch die Bäume und rannte zur Vorderseite des Hauses. Alle standen sie nun draußen, acht Erwachsene und sieben Kinder, gespannte Aufmerksamkeit in den Gesichtern. Takas Halbbrüder und ihre Halbschwester – Madame Kitaokas drei Jüngsten – und die Kinder von Takas zwei Tanten standen mit ernst gerunzelter Stirn da und lauschten in die Nacht.
    »Ich höre Musik, ich höre sie!«, rief Kentaro, Tante Kiyos Sohn, ein Vierjähriger mit großen Augen und einem dichten Schopf schwarzer Haare. Aufgeregt hüpfte er herum.
    Im Mondlicht wirkten sie wie eine Geisterversammlung. Madame Kitaokas Haut spannte sich straff über ihre hageren Wangen, und Tante Fuchi und Tante Kiyo, die Frauen der Brüder von Takas Vater, waren knochige Skelette, während Onkel Seppo, der ältliche Kalligraf, der im Bambushaus gelebt hatte und mit auf den Bauernhof gekommen war, verbogen wie ein alter, vertrockneter Stock wirkte. Okatsu hatte ihre hübsche Rundlichkeit verloren, und Tante Kiharu war so geschrumpft, dass Taka sie kaum sehen konnte. Das volle weiße Fleisch von Takas Mutter hing locker an ihren Armen und dem Bauch. Niemand hätte je erraten, dass sie einst die berühmte Buta-hime gewesen war, gefeiert in ganz Kyoto für ihren prächtigen, fülligen Körper.
    Fujino hatte Taka erzählt, was passiert war, als sie mit Tante Kiharu und Okatsu im Bambushaus eintraf. Die wenigen Kimonos, die sie aus Tokyo hatten mitbringen können, waren verkauft worden, um Geld an die Satsuma-Armee zu schicken, und sie waren bescheiden gekleidet, doch es war trotzdem nicht zu übersehen, was sie waren – zwei Damen aus dem Vergnügungsviertel von Kyoto mit ihrer Dienerin.
    Nervös darüber, wie man sie empfangen würde, war Fujino auf die Knie gefallen, als Madame Kitaoka herauskam. »Verzeihen Sie mein Eindringen«, hatte sie angesetzt, die Hände auf den Boden gelegt und sich so tief verbeugt, wie es ihr möglich war. »Ich bin nicht sicher, ob diese niedere Person, mein wertloses Selbst, Ihnen gegenüber je Erwähnung fand. Ihr ehrenwerter Gatte hat einst gnädigerweise …«
    Madame Kitaoka schien keineswegs überrascht, sie zu sehen. Sie hatte sich rasch verbeugt und die Hand gehoben. »Natürlich. Sie sind hier willkommen, Schwester. Wir sind allein, mein Mann ist fort, alle seine Männer sind fort. Ich bin froh, Sie zu sehen. Sie bringen Freude in mein Leben.«
    Am selben Tag hatte sie die Dienstboten entlassen. Sie hatten geweint und gefleht, mit ihr auf den Bauernhof kommen zu dürfen, aber sie hatte sie angewiesen, nach Hause zurückzukehren, weil sie in Gefahr sein könnten, wenn sie blieben. Dann waren sie alle – Madame Kitaoka, die beiden Tanten, Onkel Seppo, Fujino, Tante Kiharu, Okatsu und die sieben Kinder – nach West-Beppu aufgebrochen.
    Taka war später am selben Abend eingetroffen. Der Wächter hatte das Tor aufgeschoben und sie zur Tür gebracht. Taka hatte auf der Schwelle gestand, war wütend gewesen, gereizt und hatte sich vollkommen besiegt gefühlt. Sie hatte sich geschworen, niemals hierherzukommen, Madame Kitaoka nie kennenzulernen, und nun war es doch soweit, nur weil sie nicht wusste, wohin sie sonst gehen sollte.
    Aber Madame Kitaoka hatte sie liebenswürdig empfangen, und Taka hatte sich unerwartet geborgen gefühlt, nicht mehr eingesperrt in dem beengten Geisha-Haus, sondern Teil einer großen Familie mit vielen Kindern. Sie alle plagten dieselben Ängste, sie alle warteten beunruhigt auf den Wächter und seine Berichte über die Geschehnisse, erkannten, dass sie wirklich schwer arbeiten mussten, nur um zu überleben. Sie machten sich sofort ans Werk.
    Widerwillig musste Taka zugeben, dass ihre Mutter besser damit zurechtkam als alle anderen. In Tokyo und Kyoto hatte Fujino sich immer benommen, als wäre sie völlig verwöhnt und hilflos,

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