Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
der Shiroyama. Auch dort waren kleine Feuerpunkte zu sehen, loderten tapfer halb den Hang hinauf. Vor einer Weile war der Wächter vom Bambushaus den Pfad zu ihrem Bauernhaus in West-Beppu hinaufgehumpelt, um ihnen die Nachricht zu überbringen, dass die Armee im Morgengrauen des folgenden Tages ihren Vater und seine Rebellentruppe angreifen und vernichten würde. Vielleicht würde das nicht gelingen, vielleicht würde er sie abwehren, doch daran glaubte eigentlich niemand. Von den Rebellen waren höchstens noch ein paar hundert übrig, die gegen viele tausend, mit modernsten Waffen ausgerüstete Soldaten antreten würden.
Taka war sofort losgelaufen, hinauf zu der Lichtung, um hinüber zum Berghang zu blicken, auf dem sich sein Lager befand. Zu wissen, dass ihr Vater so nahe war und doch so fern, war seltsam und schrecklich. Sie kniff die Augen ein wenig zusammen, bildete sich ein, sie könnte ihn vielleicht sehen, wenn sie sich nur genug anstrengte. Geschützfeuer hallten wie Donner durch das Tal, ließen sie bei jedem Einschlag furchtsam zusammenzucken, und Blitze erhellten die fernen Hänge. Dann hörte es für eine Weile auf. Fledermäuse quiekten, Füchse schnürten raschelnd durchs Unterholz, und Blätter erzitterten im leichten Wind.
Angestrengt starrte sie in die Nacht und versuchte sich ihren Vater vorzustellen, beleibt und imposant, seinen freundlichen Blick, seine bedächtige Sprechweise, jedes Wort abwägend. Sie sah ihn in Tokyo vor sich, wie er von seinen geliebten Hunden begleitet über das Anwesen geschritten war, mit bedeutenden Männern gesprochen hatte, die ihm ihre Aufwartung machten und um seine Meinung baten, wie er im Kimono auf Knien in seinem Zimmer gearbeitet hatte. Selbst wenn er zum Kaiser ging, hatte er sich wie ein Bauer gekleidet, in Kimono, Beinlingen und eigenhändig geflochtenen Strohsandalen. Dann dachte sie an den letzten Abend, als er in ihr Haus im Geisha-Viertel von Kagoshima gekommen war.
Alle hatten ihn geliebt und geachtet. Er war der größte, prinzipientreuste und aufrichtigste Mann des ganzen Landes. Auch der Kaiser war ihm zugetan. Wie konnten sie Truppen schicken, um so einen Mann zu töten?
Tag für Tag bemühten sich alle – Taka, ihre Mutter und jeder im Bauernhaus in West-Beppu –, fröhlich zu sein und einander bei Laune zu halten. Doch an Taka nagte noch ein anderer Kummer, über den sie mit niemandem reden konnte.
Sie schaute hinauf zum Himmel, der sich weit und geheimnisvoll über ihr wölbte. Inzwischen war es noch dunkler geworden, und die ersten Sterne funkelten. Der Himmelsfluss strömte über das Firmament, eine Myriade leuchtender Stecknadelköpfe. Sie suchte nach einem leuchtenden Stern auf der einen Seite des Flusses, dann nach dem anderen. Jeden Abend hielt sie Ausschau nach diesen Sternen, und heute waren sie besonders klar – die tragischen Liebenden, die Weberprinzessin und der Rinderhirte, dazu verdammt, für immer getrennt zu sein, bis auf diesen einen Tag im Jahr, Tanabata, dem siebten Tag des siebten Monats, wenn die Elstern ihre Brücke bauten.
Nobu. Sie dachte ständig an ihn, jeden Augenblick, und jede Nacht, wenn sie diese Sterne sah, betete sie zu den Göttern, ihn zu beschützen und zu ihr zurückzubringen. Vielleicht musste sie noch inbrünstiger beten. Vielleicht würden die Götter ihr dann Gehör schenken.
Sie stellte sich seine aristokratische Nase vor, sein liebevolles Lächeln, den eindringlichen Blick, mit dem er sie anschaute. Tränen traten ihr in die Augen, und sie sank auf die Knie und verbarg das Gesicht in den Händen. Seit er sie allein am Tor des Bambushauses zurückgelassen hatte, war Schweigen eingetreten. Sie hatte gewartet und gewartet, doch nichts gehört. Er hatte nicht geschrieben, hatte keine Nachricht geschickt. Jedes Mal, wenn der Wächter kam, hoffte sie vergebens, er hätte einen Brief für sie dabei.
Und das Schlimmste war, dass sie nicht einmal darüber reden konnte. Sie konnte niemandem ihre Zweifel und Traurigkeit, ihre Furcht und ihren Zorn gestehen. Nur hier oben auf der Bergkuppe konnte sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Ihre Schultern bebten, und sie schluchzte bitterlich.
Warum schrieb er ihr nicht? Schreckliche Vermutungen gingen ihr durch den Kopf. Vielleicht lag es nicht daran, dass er keine Verbindung aufnehmen wollte, vielleicht war das nicht der Grund, warum sie nichts gehört hatte. Vielleicht konnte er nicht, weil etwas Furchtbares passiert war. Vielleicht war er verwundet, oder
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