Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
ermahnte sich, nicht albern zu sein. Doch der Gedanke hatte sich in seinem Kopf festgesetzt und ließ ihn nicht wieder los. Ihm fiel ein, dass Taka gesagt hatte, sie gehe immer am späten Nachmittag zum Tempel, wenn die Hitze des Tages nachgelassen hatte.
Er durfte nicht zu ungestüm sein, redete er sich ein. Das brachte ihn jedes Mal in Schwierigkeiten. Lieber sollte er ins Badehaus gehen und sich mit den Mädchen entspannen. Taka würde bestimmt nicht beim Tempel sein. Aber es war zu spät. Er musste es herausfinden.
Nobu machte kehrt und lief durch die Straßen. Der Weg war lang, wie er wusste. Dann sah er eine Rikscha und hielt sie an. Er würde das kostbare Geld, das Shige ihm gegeben hatte, dafür ausgeben, so schnell wie möglich zum Sengaku-Tempel zu gelangen.
11
Am späten Nachmittag, als die Hitze des Tages abgeklungen war, schlüpften Taka und Okatsu an den knorrigen alten Wächtern vorbei, die rechts und links des großen Tores der Kitaoka-Residenz standen, und eilten den Weg entlang. In ihren blau-weißen Baumwoll-Yukatas und den mit Riemchen versehenen Getas, mit den wedelnden Fächern und den Sonnenschirmchen hätte man sie fast für Schwestern halten können.
Nur nach viel Bitten, Flehen und langwierigen Verhandlungen hatte Taka ihre Mutter überreden können, sie überhaupt gehen zu lassen. Tanabata finde schließlich nur einmal im Jahr statt, hatte sie angeführt und geschworen, sie würden nur zum Sengaku-Tempel gehen, nirgendwohin sonst. Jetzt trippelten sie den Weg zwischen den hohen Mauern entlang, ganz aufgeregt über das ungewohnte Freiheitsgefühl. Fast alles schien möglich zu sein. Als sie die Tokaido erreichten, die Ostmeerstraße, schlug ihnen eine salzige Brise entgegen. Möwen stießen herab und kreischten, und zwischen hüpfenden Köpfen, bunten Papierstreifen und Rauchfahnen, die von kleinen Imbissbuden entlang der Straße aufstiegen, konnte Taka einen Blick aufs Meer erhaschen. Fischerboote dümpelten vor sich hin, und Masten schaukelten am Horizont.
Sie war so gespannt darauf gewesen, was sich ereignet hatte, als Okatsu das kostbare Briefchen überbrachte, dass sie schwer an sich halten musste, um nicht sofort zu fragen, nachdem ihre Dienerin ins Haus zurückgekehrt war. Taka hatte nicht gewagt, dort auch nur ein einziges Wort zu sagen. Sie hatte das Gefühl gehabt, dass es überall Lauscher gab – in den Wänden, unter den Tatamimatten, hinter den Shoji – heimliche Lauscher, die darauf warteten, ihrer Mutter und Eijiro Bericht zu erstatten.
Einen Brief an einen jungen Mann zu schicken, und dann auch noch mit der Andeutung auf ein Treffen, war zu keiner Zeit hinnehmbar, das wusste sie. Früher hätte Fujino vielleicht darüber hinweggesehen – schließlich hatte sie selbst ein sehr unkonventionelles Leben geführt. Doch nun sollte Taka heiraten und würde bald der Besitz einer anderen Familie werden, die ein solches Vergehen sicherlich nicht einfach hinnehmen würde. Okatsu, die über sie wachen sollte, würde schwer bestraft werden, wenn man sie beide erwischte. Sie würde Prügel beziehen, vielleicht entlassen werden. Taka warf ihr einen Blick zu. Okatsu trippelte fröhlich neben ihr her und strahlte vor Aufregung. Sie wusste, dass sie ein Risiko einging, doch das machte es noch mehr zum Abenteuer.
»Hast du ihn gesehen, Okatsu?« Taka umklammerte ihre Hände und schaute sich um, als fürchtete sie immer noch, von jemandem belauscht zu werden.
»Nein, aber ich habe Mori-samas Mätresse getroffen.« Okatsu lächelte heiter. »Sie wirkte recht freundlich.«
»Du bist zum Haus gegangen?«, japste Taka. »Ich hatte dich doch gebeten, diskret zu sein! Was für ein Haus ist es? In welcher Gegend? Wie ist sie?«
Okatsu hielt die Hand vor den Mund und lachte fröhlich über den Schwall an Fragen. »Ganz nett. Eher gewöhnlich, nicht hochklassig. Sie hat mir Tee serviert und gesagt, Nobu sei ein sehr ernster Junge. Ich habe eine Weile gewartet, aber er kam nicht zurück. War ins öffentliche Badehaus gegangen oder so. Schließlich haben ich den Brief bei ihr gelassen.«
»Und du glaubst, sie hat ihm den Brief wirklich gegeben?«, fragte Taka zweifelnd. »Selbst wenn sie es getan hat, glaubst du, er hat es begriffen? Ich war so vorsichtig, falls jemand anders ihn lesen würde. Vielleicht zu vorsichtig.«
»Setze keinen Preis für dein Dachsfell fest …«
»… bevor du den Dachs gefangen hast.« Taka lächelte, dachte daran, wie ernst Nobu dreingeschaut hatte, wenn er das
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