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Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Titel: Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Downer
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Sprichwort zitierte. »Heute ist der Tag, an dem Wünsche in Erfüllung gehen, vergiss das nicht. Vielleicht erfüllen mir die Götter den meinen.«
    Hier in Shinagawa machte die Tokaido einen halbmondförmigen Bogen um die Bucht von Edo. Über der breiten Promenade hingen farbenprächtige, gewebte Ballons und Lampions mit langen Bändern, die im Wind schaukelten und wirbelten wie die leuchtenden Fäden auf dem Webstuhl der Weberprinzessin. Menschen tanzten, sangen und juchzten unter dem Festschmuck.
    Auf den kreuz und quer am Ufer aufgebauten Ständen häuften sich Amulette, Börsen, Papierpuppen und an Schnüren aufgereihte Origamikraniche. Langhaarige Männer mit schwarz bemalten Augen streckten Passanten Fläschchen mit Krötenöl entgegen – »heilt garantiert jede Unpässlichkeit«. Es gab Jongleure, lustige Tänzer und Schlepper, die Bootsfahrten um die Bucht anpriesen, und von den Imbissbuden, an denen Männer mit verwegen um die Köpfe geknoteten Tüchern Oktopus und Tintenfisch grillten, stiegen verführerische Gerüche auf.
    Vor ihnen bog die große Fernstraße landeinwärts ab, vorbei an Residenzen, Tempeln und von kleinen Häusern verstopften Gassen, in Richtung der Nihonbashi, der Japan-Brücke, mit ihrem berühmten Fischmarkt, direkt im lärmenden Herzen von Tokyo. Hinter ihnen wand sich die Tokaido die Küste entlang und durch die Berge, vorbei an Dörfern mit strohgedeckten Häusern und Hügeln, denen man Reisterrassen abgetrotzt hatte, bis hin nach Kyoto, viele Tage Fußmarsch entfernt, wo Taka aufgewachsen war. Sie dachte an ihr dunkles Haus dort, die steile Holztreppe und die kleinen, mit Tatamimatten ausgelegten Zimmer, wie sie sich abends über das Balkongeländer gelehnt hatte, um die Geishas und Maikos vorbeitrippeln zu sehen, die langen Ärmel schwingend beim Gehen, und verspürte eine unerwartete Sehnsucht nach diesen fernen Kindertagen, als ihr Vater bei ihnen und das Leben einfacher gewesen war.
    Als sie zum Sengaku-Tempel kamen, hatte die Dämmerung schon fast eingesetzt. Sie schlossen sich der Menge an, die sich durch die schäbigen Außentore drängte, und gingen den Pfad entlang zu dem massiven, zweistöckigen Haupttor mit den steilen Ziegeldächern und dem grimmigen Bronzedrachen unter der Decke, kamen dann am großen Tempelgebäude vorbei und durch die ehrwürdige, von hohen Sicheltannen umgebende Begräbnisstätte zum Bambushain, der in einer fernen Ecke versteckt lag.
    An diesem Morgen hatte Okatsu Tau von den großen Taroblättern im Garten gesammelt, und Taka hatte ihn zum Reiben der Tusche benutzt. Sie hatte die üblichen Wünsche auf Papierstreifen geschrieben – für Gesundheit, Glück und Wohlstand ihrer Familie, für die Rückkehr ihres Vaters, für Erfolg bei ihren Schulleistungen – und noch einen geheimen Wunsch hinzugefügt. Bevor sie den Pinsel ansetzte, hatte sie die Augen zugekniffen und ein Gebet geflüstert in der Hoffnung, sie könnte den Wunsch wahr werden lassen, wenn sie sich nur genug konzentrierte: »Ihr Götter, die ihr das Geheimnis meines Herzens kennt, schützt mich vor dieser Ehe.« Dann hatte sie das Papier rasch zusammengefaltet, bevor jemand sah, was sie da geschrieben hatte.
    Die Bambuszweige bogen sich unter den farbigen Papierstreifen, Papierpuppen, Börsen und Ketten. Taka zog einen leeren Zweig herunter und murmelte ein Gebet, während sie ihre Wünsche befestigte. Als sie den Zweig losließ, schnalzte er hoch und brachte alles heftig zum Schwanken.
    Die Menschen tanzten langsam, wie hypnotisiert, und sangen das Tanabata-Lied:
sasa no ha sara sara
Bambusblätter rascheln,
nokiba ni yureru
schwanken im Dachgesims,
o hoshi sama kira kira
Sterne funkeln,
kin gin sunago
Sandkörner aus Gold und Silber.
    »Ich bin froh, dass heute gutes Wetter ist«, sagte Taka lächelnd zu Okatsu, die gerade ihre eigenen Wünsche festband. »Die Elstern werden ihre Brücke gebaut haben.«
    Als es dunkel wurde, schaute sie zum Himmelsfluss hinauf, der über das nachtschwarze Firmament wirbelte, suchte nach den zwei hellsten Lichtpunkten, der Weberprinzessin und dem Rinderhirten, die nur in dieser Nacht zusammenkommen konnten.
    Ein Zischen und ein Knall ertönten. Taka zuckte zusammen und musste an die Gewehrschüsse denken, die sie in den Straßen von Kyoto so oft gehört hatte. Eine feurige Chrysantheme erblühte, füllte den Himmel und ließ eine Kaskade von Blütenblättern über die dunklen Tempeldächer regnen. Dann kam eine weitere Explosion, und noch eine,

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