Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
mit ihren Problemen zu ihr kam, hatte ihre Mutter stets gewusst, was zu tun war. Erst seit von so schwierigen Dingen wie Heirat die Rede war, betrachtete Taka ihre Mutter nicht mehr als ihre Vertrauensperson. Du bist jetzt auf dich selbst gestellt, ermahnte Taka sich, und bei diesem Gedanken fühlte sie sich schrecklich allein.
Sie sah Fujinos Schatten durch die dunklen Räume verschwinden, vor ihr die huschenden Dienerinnen, die ihr den Weg erleuchteten. Taka zog eine Baumwolljacke über ihr Yukata und rannte hinter ihnen her. Als sie sich der großen Eingangshalle näherten, hörte sie aufgeregte Männerstimmen, die einander übertönten.
Männer drängten herein, füllten den Vorraum. Taka erkannte die Wächter, die auf dem Anwesen patrouillierten, an ihren Jacken und ausgebeulten Hosen, das Gewehr über der Schulter. Im Lampenlicht wirkten ihre Gesichter wie Teufelsmasken. Auch ein paar Freunde von Eijiro waren da. Taka hatte geglaubt, die Männer wären nach Yoshiwara aufgebrochen, aber sie waren zurück, ihre Wangen von Sake gerötet, doch mit ernstem Blick, als wären sie schlagartig nüchtern geworden.
Mienen wie diese hatte Taka seit den lang vergangenen Tagen in Kyoto, als überall auf den Straßen gekämpft wurde, nicht mehr erblickt – keine verwöhnten reichen Jungen mehr, die nichts anderes zu tun hatten, als zu trinken, zu nörgeln und zu huren, sondern Männer, wachsam, nervös, zum Kampf bereit. Einige scherzten mit den Wächtern, als wären die gesellschaftlichen Unterschiede plötzlich aufgehoben.
Laternen schwankten im Hof, schattenhafte Gestalten bewegten sich, und Stimmen zischten: »Passt auf. Hebt ihn vorsichtig heraus.« »Halt. Nicht so ruckhaft.« Ein saurer, übelkeiterregender, fleischiger Geruch, der ihr seltsam vertraut vorkam, stieg Taka in die Nase. Erst nach einem Moment erkannte sie ihn aus jenen fernen Tagen in Kyoto: frisch vergossenes Blut.
Sie wollte unbedingt wissen, was passiert war. Erst ein paar Stunden waren vergangen, seit Nobu zu ihr über die Mauer geklettert war, doch sie wagte nicht, auch nur ein Wort zu sagen. Es erschien ihr als allzu großer Zufall.
Einer von Eijiros Freunden sah sich mit verstörtem Blick um. Taka hatte ihn nie leiden können. Ein unsympathischer Bursche, der Okatsu ständig bedrängte. Taka schrak zusammen, als sie sah, in welchem Zustand er war. Sein Gesicht und die Haare waren mit Dreck und Blut verschmiert, und seine modische Weste war zerrissen. Er fiel vor ihrer Mutter auf die Knie und drückte den Kopf auf den Boden.
»Ver-vergeben Sie mir dieses Eindringen um diese … diese Stunde«, stotterte er und hob den Kopf. Seine Augen quollen aus den Höhlen wie die eines verängstigten Kaninchens, und sein Gesicht, stets blass, war aschfahl.
»Schon gut, Suzuki«, erwiderte Takas Mutter barsch. »Wo ist Eijiro?«
»Auf … auf dem Rückweg, hoffe ich. Ich habe ihm eine dringende Nachricht geschickt. Wir hatten gewettet«, fügte er hinzu und wedelte hilflos mit den Händen. »Wir haben verschiedene Wege eingeschlagen, um zu sehen, wer als Erster in Yoshiwara ist, aber …«
Rufe ertönten. »Aus dem Weg! Zurück!« Die Menge teilte sich, als einige Männer sich durchdrängten. Taka wagte kaum zu atmen, stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte zwischen den Köpfen hindurchzuspähen. Ein rasselndes Keuchen und unterdrücktes Stöhnen war zu hören. »Sachte, sachte!«, schrie Suzuki.
Taka reckte den Hals und erhaschte einen Blick auf zerrissene, dick mit Blut verkrustete Kleidung. Der Gestank drehte ihr den Magen um. Wen immer die Männer da hereintrugen, er war schwer verletzt. Die Kleidung war in westlichem Stil geschnitten, und Taka konnte eine breite Brust und muskulöse Gliedmaßen ausmachen. Erleichtert atmete sie auf und schickte ein stummes Dankgebet zu den Göttern. Der verwundete Mann war nicht hochgewachsen, schlaksig und in abgetragene Baumwollgewänder gekleidet. Er war nicht Nobu.
Die Träger schlüpften aus ihren Sandalen und traten in den großen Hauptraum, wo sie den verwundeten Mann auf die Futons legten, die von den Dienerinnen ausgebreitet worden waren. Vom Eingang her war Blut von der improvisierten Trage getropft, und auf den Futons breitete sich bereits eine Blutlache aus. Dienerinnen brachten Lampen und stellten sie um den Verletzten auf.
Taka schaute ihm ins Gesicht und wandte entsetzt den Blick ab. Das Gesicht war verfärbt, mit Blut verschmiert und matschig wie zerquetschtes Obst, und dort, wo die
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