Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
seitlich zusammengesunken. Er lag in einer Blutlache. Nobu schob seinen Arm unter Jubeis Schultern und versuchte ihn hochzuheben, aber er war ein totes Gewicht. Er versuchte es erneut, doch Jubei war zu schwer. Seine Augen standen offen. Nobu hielt ihm die Hand vor den Mund. Kein Atem, nichts.
Verzweifelt schaut er sich um. Jubei jetzt zu verlassen, käme einem doppelten Verrat gleich, aber ihm blieb keine andere Wahl. Wenn er zögerte, würde er selbst sterben. Mit einem krampfhaften Keuchen wandte er sich ab und rannte los. Sein Herz raste, sein Mund war trocken. Sein Atem kam in heftigen Stößen. Blindlings rannte er los, bis er die Straße, die gesichtslose Mauer und den schrecklichen Todesort weit hinter sich gelassen hatte. Dann fiel er auf die Knie und schluchzte vor Entsetzen.
Jubei war tot, und das war allein Nobus Schuld. Er hatte Yamakawa verletzt, möglicherweise getötet, doch das bedeutete ihm nichts. Er konnte nur an Jubei denken – den toten Jubei. Nobu nahm die Hände vom Gesicht. Sie waren zerkratzt und übel zugerichtet. Er war über und über mit Schweiß und Blut bedeckt.
Das war eine Tat der Götter, dachte er, dieser grimmigen alten Götter, die über die Clans des Nordens wachten. Nobu hatte gewusst, dass es ein unverzeihliches Verbrechen war, Umgang mit diesem Satsuma-Mädchen zu haben, doch er hatte trotzdem weitergemacht. Und nun hatten sie diesen guten und treuen Mann zu sich genommen, hatten ihn zu einer Opfergabe gemacht, um ihn, Nobu, für seinen Verrat zu bestrafen.
»Nicht Jubei. Mich! Ihr hättet mich nehmen sollen!«, brüllte er verzweifelt. Wie eine Antwort der Götter kam Wind auf und rüttelte an den Bäumen. Nobu hörte die Wellen ans Ufer der Bucht von Edo schlagen.
Vor ihm ragte der Sengaku-Tempel auf. Das äußere Tor mit dem steilen Ziegeldach hob sich schwarz gegen den Himmel ab. Die dort drinnen begrabenen siebenundvierzig Ronin schienen aus ihren Gräbern aufzusteigen und mit strengem Tadel über ihm zu schweben. Erst vor ein paar Tagen hatte er mit Taka dort gestanden und war in dieser Nacht wieder bei ihr gewesen, hatte sie in den Armen gehalten, sie berührt. Und nun hatten die Götter ihre schreckliche Warnung erteilt. Ihm blieb keine Wahl. Er musste Taka für immer aufgeben. Jubeis Tod hatte Nobus verbotene Leidenschaft zerschlagen, so sauber wie das Schwert des Henkers.
Der treue Jubei, der ungeschoren aus vielen Schlachten hervorgegangen war, nur um bei einem sinnlosen Streit in der Gosse zu sterben. Nobu würde seinen Brüdern die Nachricht überbringen müssen. Er würde ihnen erzählen, sie wären in törichter Mission unterwegs gewesen und von Satsuma angegriffen worden. Das käme der Wahrheit nahe genug. Sie würden am nächsten Morgen zurückkehren, um Jubeis Leiche zu holen, und Nobu würde die Verantwortung für dessen Frau und Eltern übernehmen und sich darum kümmern, dass sie versorgt waren.
Niemand durfte je die ganze Geschichte erfahren. Aber er würde es sich eine Lehre sein lassen.
Den Blick zum Himmel erhoben, leistete er den Göttern einen Schwur. Er würde Jubei rächen. Und obwohl es ihm schier das Herz brach, würde er niemals, schwor er, niemals Taka wiedersehen.
15
Taka wachte mit einem Ruck auf. Mondlicht flimmerte durch die Shoji, warf ein bleiches Licht über das zerwühlte Bettzeug. Fujinos dünne Decke war zurückgeschlagen. Taka schaute sich rasch um. Eine der Schiebetüren stand einen Spalt offen, und gelbes Licht drang herein. Ihre Mutter war auf den Knien, murmelte in den sorgsamen, beherrschten Tönen, die sie verwendete, wenn etwas Schlimmes passiert war.
»Wie stark verletzt?«, hörte Taka, bekam die Antwort aber nicht mit. Sie fuhr hoch. Ihr Herzschlag schien kurz auszusetzen, und sie schlug die Hände vor den Mund. Voller Furcht überlegte sie, ob es etwas mit Nobu zu tun haben könnte. Als Letztes hatte sie ihn zwischen den Bäumen davonschlüpfen sehen. Sie kniff die Augen fest zusammen und betete mit aller Kraft darum, dass ihm nichts Schreckliches zugestoßen war.
Fujino war jetzt auf den Füßen, ein großer, beruhigender Schatten, dieselbe tröstliche Präsenz, die jede Nacht neben ihr lag, sanft atmend, wie schon Takas ganzes Leben lang. Taka, ihre Schwester und ihre Mutter hatten bis zu Harus Heirat nebeneinander geschlafen, die Dienerinnen ganz in ihrer Nähe; nun waren sie nur noch zu zweit.
Wenn sie sich Fujino doch nur anvertrauen könnte, wie sie es früher getan hatte, dachte sie. Wann immer Taka
Weitere Kostenlose Bücher