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Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Titel: Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Downer
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und Metallisches, das zwischen dem Schutt schimmerte, fiel ihm ins Auge. Auf erschreckende Weise ähnelte es den Resten eines der großen Bronzedelfine, deren majestätische Schwanzflossen an beiden Seiten des Dachfirstes aufgeragt hatten.
    Irgendwie hatte Nobu sich eingebildet, die Stadt wäre zwar zerstört worden, aber nicht die Burg, in der ihr Fürst seinen Sitz gehabt hatte. Sogar die brutalsten Feinde wären davor zurückgescheut, auch wenn sie die Burg in einen von Einschlägen durchsiebten Schatten ihrer selbst verwandelt hatten. Er wandte sich ab. Der Anblick war unerträglich.
    »Ich will dir etwas erzählen«, sagte Yasu zornig. »Nicht nur das Feuer hat die Burg zerstört. Sie stand noch, als ich ging. Die Schweinehunde haben sie geschleift. Nachdem sie nun glauben, sie hätten uns die Flügel vollkommen gestutzt, lassen sie uns freundlicherweise zurückkehren. Ich bin froh, dass wir uns ihnen wenigstens entgegengestellt haben. Wir haben ihnen hart zugesetzt, haben uns nicht kampflos in den Staub treten lassen. Eines Tages sind wir an der Reihe. Eines Tages sind wir wieder oben – und das wird jetzt nicht mehr lange dauern.«
    Nobu grunzte zustimmend. Aber um die Wahrheit zu sagen, all das lag so lange zurück, dass er nicht wusste, ob er dem wirklich beipflichtete. Der Preis dafür erschien ihm doch sehr hoch. Aber wie dem auch sein mochte, es war seine Pflicht, seine Familie und seinen Clan zu rächen. Daran gab es nichts zu rütteln.
    Das rechtwinklig angelegte Straßennetz war nach wie vor erkennbar; wie eine geisterhafte Erinnerung an das, was einst gewesen war. Nur wenige Häuser standen noch, ansonsten gab es in den Ruinen bloß Schutthaufen mit baufälligen Hütten aus zerbrochenen Brettern. Krater überzogen den Boden wie Pockennarben, und die wenigen verbliebenen Mauern um die ehemaligen Residenzen der Samurai waren voller Einschusslöcher. Der Herbsthimmel warf ein grelles Licht auf die weit verstreuten Schuttmassen.
    Ohne die Burg zur Orientierung wirkte alles fremd. Mehrfach musste Yasu nach dem Weg fragen. Die Straßen waren voller Menschen, die sich wie Schlafwandler bewegten – alte Frauen in Hanfgewändern mit Kleinkindern auf dem Rücken, gebeugte Männer mit Schubkarren oder schwankend unter schweren Tragekörben an Bambusstangen, Reisende mit Bündeln voller Hausrat. Händler priesen ihre Waren an, und Bauern boten am Straßenrand Berge von Pilzen oder eingelegten Rettich zum Verkauf an. Aber irgendetwas fehlte. Es war eine Stadt der Frauen, Kinder und Alten. Die wenigen jungen Männer, die Nobu sah, humpelten oder trugen Uniform.
    Misstrauisch beäugten die Brüder patrouillierende Polizisten in ihren spitzen Kappen und Stiefeln – Aizu-Männer ihren Gesichtern nach und nicht viel älter als Nobu. Die einzige Arbeit, die Männer aus dem Norden in dieser vom Süden beherrschten Welt noch bekommen konnten, war entweder in der Armee oder bei der Polizei. Wenigstens hatten sie warme Kleidung, wenn ihre Uniformmäntel auch fadenscheinig wirkten.
    Doch trotz der großen Menschenmenge war es unheimlich still. Dann ging Nobu auf, was hier fehlte: das Rumpeln und Rattern von Rädern, die warnenden Schreie der Rikscha-Zieher. Keine Rikschas sausten vorbei, ließen die Fußgänger zur Seite springen – nur das Klappern von Holzschuhen auf Stein, das leise Stimmengewirr und das gelegentliche Schnauben eines alten Kleppers, der auf Hufschuhen aus Stroh unter gewaltigen Lasten dahinschlurfte.
    Fünfzehn Jahre lang hatte der Krieg zwischen dem Norden und dem Süden gewütet, zuerst in den Straßen von Kyoto, wo die Aizu als Polizei des Shogun dienten, dann auf dem Schlachtfeld, wo sie um die Herrschaft im Land kämpften. Am Ende hatten die Clans aus dem Süden den Shogun abgesetzt und die Macht im Namen des jugendlichen Kaisers übernommen. Damit noch nicht zufrieden, waren sie nach Norden marschiert, um den letzten Rest des Widerstandes zu brechen und ihren alten Feind – die Aizu – zu vernichten.
    Nobu spürte, wie der Zorn in ihm aufflammte. Er dachte an die Ginza mit den Gaslampen, den Kutschen, den Rikscha-Ständen und den Restaurants voll feister, selbstzufriedener Männer und Frauen, aufgeputzt in westlichen Anzügen und Kleidern. All dieser Wohlstand, und nicht ein Quäntchen davon war bis hierher gelangt. Die Sieger lebten in Saus und Braus, während die Besiegten kaum genug zu essen hatten.
    Wütend trat er gegen einen Stein und ballte die Fäuste, bereit, das gesamte Pack aus dem

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