Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
er sich eng an seinen Vater und seine Brüder geschmiegt, nur mit einem Baumwollkimono und einem Strohsack zum Wärmen. Da sie Samurai waren, hatten sie keine Ahnung von der Landwirtschaft, und als ihre Reiszuteilung aufgebraucht war, mussten sie sich von Wildpflanzen und Wurzeln ernähren. Die Ortsansässigen waren vor ihnen zurückgescheut und hatten »Aizu-Raupen« gemurmelt, wenn sie ihnen auf der Straße begegneten. Viele Familien vom Treck nach Norden waren in diesem Winter verhungert. Nobu wagte nicht daran zu denken, wie viele seitdem gestorben waren.
Ein Schatten erschien auf der Türschwelle. Der alte Mann, der dort stand, war klapperdürr, und sein Haar war fast weiß. Der gestrenge Krieger, den Nobu im Gedächtnis hatte, war verschwunden. Sein Rücken war gebeugt, sein Gesicht verhärmt, dennoch wirkte er stolz. Nobu sank auf die Knie.
»Yasu! Bist du das, mein Sohn? Und das muss der junge Nobu sein. Lass dich anschauen, mein Junge. Sieh an, sieh an, du bist zum Mann geworden.«
Nobu verneigte sich, versuchte seine Bestürzung über die Veränderungen zu verbergen, die Zeit und Entbehrung seinem Vater zugefügt hatten. Er hatte seine grimmige Überlegenheit und den einschüchternden Blick verloren, schien geschrumpft zu sein wie ein Hund, den man mit Schlägen gefügig gemacht hatte.
Nobu dachte an das letzte Treffen mit seinem Vater. Er hatte auf den Knien gelegen, den Kopf am Boden. Die kalten Steine drückten sich in seine Schienbeine, und in der Nase hatte er den Geruch von Erde. Er hatte aufgeschaut und die Worte gesprochen, die Yasutaro ihm beigebracht hatte, laut und deutlich: »Vater, ich werde nicht zurückkehren, bevor ich etwas aus mir gemacht habe.« Und hier war er, wieder zurück, doch er hatte nichts aus sich gemacht. Yasu hatte sich an Nobus vorgesetzten Offizier wenden und um zusätzliche Freistellung von der Kadettenanstalt bitten müssen, damit sein Bruder ihn auf dieser traurigen Mission nach Norden begleiten konnte.
»Vater, wir kehren nach langer Abwesenheit zurück.« Yasu sprach die förmlichen Begrüßungsworte aus. »Wir sind froh, dich bei guter Gesundheit vorzufinden.«
Eine Frau war dem Vater hinaus gefolgt und rang nervös die Hände. Yuki, Yasus Ehefrau. Sie war noch ein Mädchen gewesen, als Nobu sie zuletzt gesehen hatte, und war nun farblos und knochig geworden. Die beiden waren erst seit Kurzem verheiratet gewesen und kannten einander kaum, als Yasu nach Tokyo aufgebrochen war. Yasu beachtete sie nicht, wie es sich in Anwesenheit seines Vaters und seiner Brüder geziemte, doch Nobu erkannte an der Art, wie Yasu aus den Augenwinkeln zu ihr schaute, dass er sich freute, sie zu sehen.
»Ihr kommt mit dem Fallen der Blätter.« Sein Vater ließ den Blick aus den von Hautfalten eingeschlossenen Augen zwischen ihnen hin und her wandern. Er hatte die zitternde Stimme eines alten Mannes. »Ich danke den Göttern und unseren Ahnen, dass wir am Leben und wieder hier zusammen sind, zurück auf unserem eigenen Grund und Boden.« Mit wehmütigem Lächeln deutete er auf das überwucherte Grundstück. »Ihr werdet zum Familiengrab gehen wollen. Aber zuerst müsst ihr essen. Ihr habt einen langen Weg hinter euch. Yuki, setze den Reis auf.«
Nobu erinnerte sich an seinen Vater in Tonami, wie er mit seiner Angel am Fluss gesessen und in die Ferne gestarrt hatte. Er wollte davon hören, wie sein Leben dort gewesen war, wie die Familie es nach Aizu zurückgeschafft hatte, und er wollte ihm erzählen, dass er, sein jüngster Sohn, jetzt in der Armee war. Er wusste, dass es das Herz seines Vaters erfreuen würde. Die Familie hatte so viel geopfert, um ihn, Yasu und Kenjiro nach Tokyo zu schicken, und er wollte sie wissen lassen, dass er erfolgreich gewesen war, auch wenn das nicht vollständig der Wahrheit entsprach. Er wagte ihnen nicht zu erzählen, dass Yasu nur Gelegenheitsarbeiten verrichtete und er selbst während der unterrichtsfreien Zeit bloß ein Laufbursche war.
»Und Kenjiro, euer Bruder, wie geht es ihm?«
»Ihm geht es gut, wirklich gut«, antwortete Yasu. Auch das war eine Halbwahrheit. »Er studiert, wie immer. Liest, schreibt. Du weißt ja, wie er ist.«
»Also noch immer keine Arbeit?«
»Wir kommen zurecht.«
Nobu kam auf die Füße, als er Yasus Blick auf sich spürte, der ihn daran erinnerte, dass er noch eine Pflicht zu erfüllen hatte. Die Urne wog schwer auf seinem Rücken.
»Gibt es etwas Neues von … Kumazo?« Er brachte es kaum über sich, den Namen
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