Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
Vater.« Welch ein Glück, dass ihre Mutter so überschäumend war. Sie redete und redete, ohne sich jemals zu fragen, was Taka selbst wollte oder ob dieser Mann, Genie oder nicht, wirklich der richtige Gatte für sie war. Die Hauptsache war, dachte Taka, dafür zu sorgen, dass Fujino nicht der geringste Verdacht kam, die Person, die Takas Gedanken Tag und Nacht erfüllte, wäre in Wirklichkeit ihr ehemaliger Dienstbote, ein schlaksiger junger Soldat ohne Geld und ohne große Hoffnung auf Beförderung und, das Schlimmste von allem, ein Aizu.
Genau hundert Tage waren seit jener Nacht vergangen, als Nobu plötzlich bei ihrem Haus aufgetaucht war und sie sich zusammen in den Wald am hinteren Ende des Grundstücks geschlichen hatten. Taka konnte sich immer noch an jeden Atemzug, jedes Wort dieses Treffens erinnern, so lebhaft, als wäre sie dort – die umherschwirrenden Fledermäuse, der erdige Geruch, die durch die Blätter funkelnden Sterne, die Wärme seines Körpers neben ihrem in der feuchten Dunkelheit, und das Gefühl seiner Finger auf ihren, als er ihre Hand ergriff.
Für mich hat es nie eine andere gegeben als dich , hatte er gesagt. Und so wird es auch in Zukunft sein.
Doch seitdem hatte sie nichts mehr von ihm gehört.
Zuerst war sie so sicher gewesen, dass er wiederkommen oder ihr wenigstens eine Nachricht schicken würde, aber die Tage waren ohne ein Wort vergangen. Sie versuchte sich vorzustellen, was passiert sein könnte. Vielleicht gelang es ihm nicht, eine Nachricht aus der Militärakademie hinauszuschmuggeln. Dort war er nicht so frei, wie er es im Haus von Mori gewesen war. Die Akademie glich eher einem Gefängnis. Oder er hatte beschlossen, dass zu viel zwischen ihnen stand, sie zu reich war und er kaum mehr als ein Dienstbote. Vielleicht war das die Wahrheit. Aber so arm er war, er war auch stolz. Sie wusste, dass er sich für kein Jota schlechter hielt als sie. Ihm war anzumerken, dass er aus einer angesehenen Familie stammte, selbst wenn diese durch den Bürgerkrieg ihren Status verloren hatte.
Taka überlegte, ob sie ihm irgendwie eine Nachricht zukommen lassen konnte, doch es war undenkbar für ihre Dienerin, die hübsche, rundgesichtige Okatsu, an das Tor der Kaserne zu klopfen und nach ihm zu fragen. Das würde ihn zum Gespött machen, und er würde Taka nie verzeihen. Sie musste einfach warten.
Wenigstens waren sie immer noch in Tokyo und nicht nach Kagoshima gezogen. Und solange sie hier waren, bestand immer noch die Möglichkeit, von ihm zu hören.
Ihre Mutter stupste sie mit dem fleischigen Ellbogen an. »Du bist hundert Ri entfernt, träumst wohl von deinem Hochzeitstag. Ich weiß, du würdest dich gern in der Bank umsehen, genau wie ich. Aber wir können doch nicht zulassen, dass du vor dem großen Tag plötzlich Masuda-sama über den Weg läufst, nicht wahr? Außerdem wartet Tante Kiharu auf uns.«
20
Tante Kiharu saß auf einem Stuhl in einem der Nebenräume der Schwarzen Päonie, ihre Röcke elegant drapiert, den kleinen Kopf stolz über dem Rüschenkragen ihrer taillierten Jacke erhoben. Stimmen und Gelächter drangen aus dem Hauptrestaurant herein und ließen die staubigen Wände und Schiebetüren mit den gemalten Chrysanthemen erzittern.
Als Taka sich umschaute, ging ihr auf, dass es derselbe Raum war, in den drei Jahre zuvor der Satsuma-Samurai mit gezogenem Schwert hereingestürzt war. Unwillkürlich kam ihr das Bild von Nobus sonnenverbranntem Gesicht in den Sinn, wie er sich mit finsterer Entschlossenheit auf den Angreifer geworfen hatte, und sie hatte Mühe, die aufsteigenden Tränen wegzublinzeln.
Während Fujino sich mit viel Rascheln und Knarren auf zwei der winzigen Stühle niederließ, huschten Bedienungen mit Tellern voll dunkelrotem Fleisch herein, hauchdünn geschnitten und wie das feinste Sashimi aufgefächert, und legten ein paar Scheibchen auf die heiße Eisenplatte. Auch nach all dieser Zeit fiel es Taka nicht leichter, Fleisch zu essen. Sie zog die Nase kraus und tupfte ihre Augen ab, dankbar für den aufsteigenden Rauch, der ihr als Vorwand diente. Es roch wie ein Scheiterhaufen.
Ihre Mutter richtete sich auf. »Rindfleisch zu essen, ist das Kennzeichen der zivilisierten Schichten«, sagte sie streng. »Menschen wie wir müssen ein Beispiel geben. Auch der Kaiser isst Fleisch. Wenn du Masuda-samas Braut werden willst, musst du einen kultivierten Geschmack entwickeln. In Amerika, wo er gelebt hat, essen sie jeden Tag Fleisch. Daher sind sie so groß
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