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Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Titel: Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Downer
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staunen. Aber heute hatte sie das Gefühl, alles plötzlich klarer zu sehen. Die ganze Pracht wirkte geschmacklos. Die Straße war ausgefahren, die kahlen Bäume knotig, die Menschen zu protzig angezogen, und die Kutschen wurden von abgehalfterten Gäulen gezogen.
    In leichtem Galopp fuhren sie an der Komura-Bäckerei und dem Gebäude der Tokyoter Tagesnachrichten mit dem Portikusbogen und den riesigen Gaslampen vorbei. Eine frisch vom Land gekommene Gruppe stand glotzend davor, als handle es sich um einen berühmten Tempel oder Schrein. Die Balkone des Matsuda-Restaurants zur Linken waren mit Schaulustigen überfüllt – »Rindfleisch für die Massen«, schnaubte Fujino und warf die Bänder ihrer Kapotte zurück. Zur Rechten stand das neue Postgebäude, in das moderne Menschen ihre Briefe brachten, statt sie aufzurollen und nach dem Boten mit seinen Lackkästen zu schicken, wie es die Leute in unbedarften Teilen des Landes nach wie vor taten.
    Fujino hatte gesagt, sie gingen in die Schwarze Päonie. Doch statt abzubiegen, überquerten sie die Nihonbashi, die Japan-Brücke, und ratterten an dem riesigen Echigoya-Textilgeschäft vorbei. Fujino lächelte auf eine Art, die einen zur Weißglut treiben konnte, drehte sich zur Seite und legte ihre pummelige weiße Hand über Takas Augen.
    »Warte nur, bis du das siehst!«
    Als sie die Hand wegzog, musste selbst Taka lächeln.
    Sie hatten vor einem Gebäude angehalten, das wie eine Miniaturburg aussah. Aus schimmernden weißen Ziegeln gebaut, dazu stufenförmige rote Ziegeldächer und Balkone mit kunstvoll durchbrochenen Brüstungen, war es ein Anblick, bei dem jeder seine Trübsal vergessen hätte. Das Bauwerk war fünf Stockwerke hoch, eines auf das andere gesetzt wie Kinderbausteine, jedes der höheren Stockwerke ein wenig schmaler als das darunter. Auf der Spitze thronte ein goldener Delfin wie auf den Burgen der Kriegsherren, die Schwanzflosse hochgereckt. Menschen gingen ein und aus – chinesische Geschäftsleute mit langen Gewändern und noch längeren Zöpfen, Damen in Kimonos oder Kleidern mit Turnüren und Männer in Haori und Hakama oder Bowlerhüten.
    »Weißt du, wo wir sind?«, fragte Fujino strahlend und rieb sich die Hände, als wollte sie Taka gleich ein sagenhaftes Geheimnis verraten. »Das ist der Hauptsitz deiner Firma, geführt von deinem Ehemann – deinem zukünftigen Ehemann, um genau zu sein –, das ist die Shimada-Bank! Das Gebäude ist das neueste in ganz Tokyo. Was du für einen Mann gefunden hast! Er ist ein genialer Bankkaufmann. Er hat das gesamte Bankensystem für unser Land geschaffen – na ja, das war die Familie Shimada, aber alle wissen, dass er der kluge Kopf dahinter ist –, und das hier ist die Privatbank der Shimadas. Er hat sie entworfen, er führt sie, die Angestellten, die hier arbeiten, arbeiten für ihn – und er ist vollkommen verzaubert von dir!« Ihr ausladender Busen hob sich sichtbar. »Ich weiß, es ist aufreibend, so lange auf die Hochzeit warten zu müssen und deinen Verlobten nur ein einziges Mal gesehen zu haben. Aber vergiss nicht, die meisten Mädchen lernen ihren Ehemann bis zum Hochzeitstag überhaupt nicht kennen. Du siehst also, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst. Bald bist du glücklich verheiratet und die Herrin des Shimada-Imperiums. Schon bald wirst du deinen roten Seidenkimono anziehen und auch das schöne, weiße westliche Spitzenkleid. Das wird die glanzvollste Hochzeit, die man je gesehen hat. Ganz Tokyo wird davon sprechen.«
    Taka nickte, gab sich die größte Mühe, aufgeregt und erfreut zu wirken. Sie war erstaunt, dass ihre Mutter sie nicht durchschaut hatte. Fujino schien nicht mal zu dämmern, dass Taka alles andere wollte, als an diesen schrecklichen Tag erinnert zu werden, und an die drei Hochzeitskleider, die sie eines nach dem anderen würde anziehen müssen.
    Sie blickte auf ihre hohen Knopfstiefel hinunter, die unter dem Saum ihres Tageskleides hervorspitzten. Immer mehr verstrickte sie sich in diesem Spinnennetz und hatte schreckliche Angst davor, ihm nie mehr entfliehen zu können. Das Schlimmste war, dass sie selbst daran Schuld hatte.
    Es war fast unmöglich, das Schauspiel durchzuhalten und Fujino vorzugaukeln, Taka wäre begierig darauf, Masuda-sama zu heiraten, und der einzige Grund für ihre Trübsal wäre, ihn so lange nicht gesehen zu haben. Wenn sie sich zu sehr beschwerte, befürchtete sie, ihre Mutter könnte sagen: »Dann ziehen wir eben nach Kagoshima zu deinem

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