Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
geschickt worden, und sie hatte deswegen nichts von ihm gehört. Aber nein, redete sie sich ein. Man würde keine Kadetten schicken, um eine Rebellion niederzuwerfen.
Tante Kiharu spielte mit ihrem Fächer.
»Und was ist mit Maebara-sama?«, wollte Fujino mit heiserer Stimme wissen. Sie atmete schwer, ihr großer Busen hob und senkte sich. »Was ist mit ihm passiert?«
Ein langes Schweigen entstand. »Er ist geflohen«, brachte Tante Kiharu zögernd hervor, senkte den Kopf und zog Luft zwischen den Zähnen ein.
Für einen kurzen Moment brach Fujinos majestätische Selbstbeherrschung zusammen, als hätte sich ein Vorhang gehoben, und Taka erhaschte einen Blick auf etwas völlig anderes, etwas, das sie überhaupt nicht kannte. Die Farbe wich aus Fujinos Wangen, ihre Schultern sackten zusammen, ihr rundes Gesicht wurde leer und abgehärmt. Mit stumpfem Blick starrte sie in die Ferne.
Taka wandte sich ab, weil sie es nicht ertragen konnte, ihre stolze, starke Mutter plötzlich so schutzlos und ängstlich zu sehen. Sie hatte das schreckliche Gefühl, dass sich ihr Leben durch diese ihr unverständlichen Vorgänge verändern würde, wenn sie sich auch nicht vorstellen konnte, auf welche Weise.
Erneut wurde es lange still. Fujino betupfte sich mit zitternder Hand die Augen. »Also ist er hingerichtet worden.«
»Noch nicht, aber bald. Nach einem ordentlichen Gerichtsverfahren, natürlich.«
»Armer Maebara.«
»Du kanntest ihn?« Taka wollte unbedingt wissen, warum ihre Mutter so erschüttert von der Nachricht war. »War das in Gion? Habe ich ihn auch kennengelernt?«
Doch ihre Mutter hatte sich sofort wieder im Griff. Sie lächelte wehmütig. »Das war vor deiner Zeit, Liebling. Ein bisschen zu ernst für meinen Geschmack, aber dem Sake durchaus nicht abgeneigt. Und wie er singen und tanzen konnte! Ihm gelang Sukerokus grandioser Auftritt ebenso gut wie dem besten Kabuki-Schauspieler. Und der Sache des Südens vollkommen ergeben.« Sie seufzte schwer. »Trotzdem wird ihm am Ende der Kopf abgeschlagen – und das von seinen eigenen Kameraden.«
Alle drei saßen sie schweigend da, während das Fleisch auf der Eisenplatte zischte und brutzelte. Rufe, Gelächter und Tellerklappern drang weiterhin aus dem Hauptrestaurant herein. Fujino und Tante Kiharu schienen in Gedanken versunken. Wenigstens hatte niemand Masuda-sama erwähnt. Taka wusste nicht, wie lange sie noch vortäuschen konnte, dass sie ihn vermisste und begierig auf die Hochzeit wartete.
Tante Kiharu legte ihre Stäbchen beiseite. »Was für Hitzköpfe sie doch waren!« Ihre Augen leuchteten. »Aber wie sehr wir sie liebten! Ich kann mich nicht erinnern, dass Gion je so aufregend war, weder davor noch danach.«
Takas Mutter kaute schweigend, ein leichtes Runzeln auf der glatten, bleichen Stirn. Sie schüttelte den Kopf. »Armer Maebara-sama!«, wiederholte sie leise.
»Wann sind sie eigentlich in Kyoto aufgetaucht, diese Jungs aus dem Süden mit ihren Pferdeschwänzen und den zurückgebundenen Ärmeln, sprühend vor Kampfeslust?«, beharrte Tante Kiharu. »Ich kann noch keine dreizehn gewesen sein, ich war noch nicht einmal eingeführt. Ich trug mein Haar noch im Ware-shinobu-Stil, schminkte mein Gesicht und kippelte auf diesen absurd hohen Getas herum, mit diesen langen, flatternden Ärmeln wie eine kleine Jungfrau, die ich ja auch war. Lass mich nachdenken. In einem Teehaus bin ich ihnen nicht begegnet.«
»Wohl kaum. Dafür hatten sie kein Geld, im Gegensatz zu unseren üblichen Kunden«, erwiderte Takas Mutter. Sie nahm ein gefaltetes Teezeremonie-Papier aus der Handtasche, drückte ihre Lippen darauf und hinterließ einen scharlachroten Abdruck.
»Und im Gegensatz zu den üblichen Kunden waren sie jung und sahen gut aus. Erinnerst du dich an diese schrecklichen Kaufleute, die wir unterhalten mussten, mit ihren faltigen Wangen und den über die Schärpen hängenden Bäuchen? Manchmal wenn ich mich an einen schmiegte, ihm beteuerte, wie gut er aussah und wie sehr ich ihn liebte, musste ich mir innen auf die Wange beißen, um nicht laut zu lachen. Du kannst von Glück sagen, dass du diese dummen Spiele nicht mitmachen musst, Taka. Ständig haben sie mit Geld um sich geworfen, mit dem Seidenfutter ihrer Mäntel geprotzt, Geschäfte während des Essens abgeschlossen und sich widerlich betrunken. Das hat zwar auch Spaß gemacht – bis diese jungen Männer auftauchten. Sie waren wie eine frische Brise.«
Taka wollte protestieren. Auch ihre Mutter
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