Die Tochter des Schmieds
nun weint statt der jungen Frau.
Und sie wird sich daran gewöhnen, daß die Menschen ihr vertrauen, ohne daß sie je verstehen wird, warum das so ist.
Der Schmerz, vielleicht sucht man sich immer jemanden aus, der ihn auch kennt.
Nachdem sie fast einen ganzen Winter gelesen und gelernt hat, nachdem sie sich nun bereit fühlt für die Prüfungen, überkommt
Gül mit den ersten warmen Sonnenstrahlen das Bedürfnis, wieder rauszugehen. Sie hat das Plakat gesehen, die
Barfüßige Gräfin
wird gezeigt, ein Film mit Ava Gardner, |279| einer ihrer Lieblingsschauspielerinnen. Humphrey Bogart, der auch mitspielt, ist ihr völlig egal, aber möglicherweise lockt
er Fuat ins Kino.
– Hast du nicht Lust, dir diesen Film anzusehen? fragt Gül.
– Nein, antwortet Fuat.
– Wir waren schon so lange nicht mehr im Kino …
– Und wer soll auf Ceyda aufpassen?
– Deine Mutter. Die macht das bestimmt gerne.
– Und wenn Ceyda weint? Sie ist es nicht gewöhnt, daß du so lange weg bist.
– Ach, sie wird schon brav sein. Wie wärs? Ich möchte diesen Film sehen, mit Ava Gardner. Und Bogart spielt auch mit.
– Ach, Bogart, wie der schon aussieht. Ein Mann muß aussehen wie Sinatra oder wie Dean Martin, vielleicht auch Clark Gable
oder Errol Flynn, das sind gutaussehende Männer. Bogart, pffft, sagt er und schiebt sich eine Zigarette zwischen die Lippen,
reißt ein Streichholz an und gibt sich Feuer. Als er den Rauch ausatmet, sieht er in Güls bittendes Gesicht und sagt:
– Von mir aus. Wenn meine Mutter auf Ceyda aufpaßt.
Bogart wird wieder Whiskey trinken, er kennt das, und mittlerweile bekommt er schnell schlechte Laune, wenn er jemanden Whiskey
trinken sieht. Was hat er nur verbrochen, daß er nicht mal dran riechen kann.
– Samstag abend?
– Samstag wollte ich eigentlich mit Yılmaz und Can an den Bach fahren.
An den Bach fahren heißt, daß er betrunken nach Hause kommt.
– Bitte, dieses eine Mal.
Fuat seufzt. Vielleicht trinkt er ja keinen Whiskey, vielleicht fährt er ja nur ein gottverdammtes Auto.
– Samstag, knurrt er.
An den Bach kann er nächste Woche auch noch, denkt Gül, und die Woche darauf und die folgende Woche.
Es ist Samstag abend, Gül hat sich schön gemacht, zuerst |280| wollte sie das nachtblaue Kleid anziehen, doch das ist ihr übertrieben vorgekommen, also hat sie ihren Lieblingsrock und eine
schicke Bluse an, sie hat sich die Haare aufgedreht und kann es kaum erwarten, auszugehen. Fuats Anzug hat sie mit dem elektrischen
Bügeleisen gebügelt, sein Hemd ist weiß und gestärkt, er legt wie auch schon vor der Hochzeit viel Wert auf seine Kleidung,
tritt aber weiterhin hinten auf seine Schuhe. Sein Wehrdienstbauch ist dahingeschmolzen, dafür gehen ihm langsam die Haare
aus, er hat größere Geheimratsecken als jeder andere in seinem Alter. Den Kamm trägt er immer noch bei sich, doch er verwendet
keine Brillantine mehr, weil seine Haare dadurch noch schütterer aussehen.
Als sie auf dem Weg ins Kino sind, hakt Gül sich bei ihm ein, sie ist stolz auf ihren Mann und freut sich auf den Film.
Es ist eine Doppelvorstellung, und die
Barfüßige Gräfin
wird als zweiter Film laufen. Dean Martin hat im ersten Film die Hauptrolle, doch Fuat rutscht nur unruhig auf seinem Sitz
hin und her, steckt sich eine Zigarette an der anderen an, schaut abwesend auf die Leinwand und atmet gelegentlich hörbar
aus. Was der Kerl an Whiskey trinkt, während er hier völlig auf dem trockenen sitzt. Gegen Ende des Films wird er ruhiger,
und als die Lichter angehen, sieht er Gül erwartungsvoll an.
– Es ist der zweite Film, sagt sie, in diesem hier hat Ava Gardner ja gar nicht mitgespielt, wir sind wegen dem anderen Film
hier.
– Okay, sagt Fuat und schüttelt eine Zigarette aus der Packung. Kein Problem, dann sehen wir uns noch einen an. Warum nicht?
Bist du dir sicher, daß es Ceyda gutgeht? Möglicherweise weint sie die ganze Zeit, sie ist es ja nicht gewöhnt, so lange ohne
dich zu sein. Ich könnte dich auch nach Hause bringen und dann noch mal kurz nach Yılmaz und den Jungs schauen.
Sehr oft in ihrem Leben wird Gül das Gefühl haben, daß sie keine gute Mutter ist, und sie wird sich grämen deswegen. Doch
heute abend ist sie entspannt, es ist Frühling, und sie |281| will Ava Gardner sehen. Man kann das eine oder andere über ihre Schwiegermutter sagen, aber nicht, daß sie nicht mit Kindern
umgehen kann. Ihrer Stiefmutter würde Gül Ceyda ungern
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