Die Tochter des Schmieds
anvertrauen, ihrer Schwiegermutter jedoch jederzeit.
Als der Film beginnt, wird Fuat wieder unruhig, raucht, ruckelt auf seinem Platz, steht auf, geht auf die Toilette, kommt
wieder, schlägt die Beine übereinander, schlägt sie nach einer Minute andersherum übereinander, knackt mit seinen Fingergelenken
und gähnt dann. Mittlerweile läuft der Film seit einer Viertelstunde, und Gül hat keine Sekunde lang alles um sich herum vergessen
können, sie ist keine Sekunde lang in Ava Gardners Augen hineingefallen, wie sie manchmal hineinfällt in die Stimmen im Radio,
keinen Moment hat sie vergessen, daß ihr Mann nicht hiersein will.
– Bist du dir sicher, daß Ceyda brav ist? flüstert er jetzt.
– Ja, sagt Gül, ich bin mir sicher, aber komm, wir gehen gucken.
– Aber …
– Wir gehen nachsehen, sagt Gül entschieden und steht auf.
Schweigend laufen sie nebeneinander durch die Nacht. War es denn zuviel verlangt, überlegt Gül, war es zuviel verlangt, daß
er einen Abend mit mir ausgeht? Wenn er mit seinen Freunden unterwegs ist, dann kommt er auch erst um ein, zwei Uhr heim.
War es denn zuviel verlangt, daß er sich einen Film mit mir ansieht? Aber vielleicht hat er sich wirklich Sorgen um Ceyda
gemacht? Warum vertraut er seiner eigenen Mutter nicht?
Auch Fuat macht sich Gedanken. Nur weiß Gül nicht, worüber. Sie weiß nichts vom Whiskey und wie er sich fühlt, wenn er auf
dem trockenen sitzt. Es ist eine klare Nacht, unter anderen Umständen könnte man sich die Sterne ansehen. Wir kommen nicht
hierher, um zu leben und zu sterben, wir kommen hierher, um die Sterne anzusehen und uns in der Weite zu verlieren.
– So früh schon zurück, begrüßt sie Berrin, die in der Küche Reis gelesen hat.
|282| – Ja, sagt Gül, wir haben uns Sorgen um Ceyda gemacht. Da konnten wir den Film nicht zu Ende sehen. Sie hat aber brav geschlafen,
nicht wahr?
– Ja, ich habe ihr ihre Milch gegeben, und seitdem schläft sie ohne einen Mucks.
– Siehst du? sagt Gül zu Fuat.
– Hätte doch sein können …, erwidert er.
– Aber ich hätte mich doch um sie gekümmert, sagt seine Mutter. Vier Kinder habe ich großgezogen, da werde ich doch mit unserem
süßen Spatz fertig werden.
– Siehst du? sagt Gül wieder, dieses Mal mit Triumph in der Stimme. Unsere Tochter ist schön brav eingeschlafen.
Fuat hat sich hingesetzt. Gül geht zum Schrank, um sich etwas getrockneten Traubensaft zu nehmen.
– Ganz brav war sie. Wir hätten den Film in aller Ruhe zu Ende gucken können. Aber du hast die Pferde scheu gemacht.
Normalerweise hat sie sich unter Kontrolle, doch gerade redet Gül sich in Fahrt. Und sie hat das dringende Bedürfnis, etwas
Süßes zu essen. Obwohl sie nicht glaubt, daß ihre Worte dadurch freundlicher werden. Während sie kaut, bleibt sie mit dem
Rücken zum Schrank stehen. Es macht sie wütend, daß Fuat jetzt schweigt.
– Alle vierzig Jahre mal will ich mit dir ins Kino, und du nimmst das Kind als Vorwand, um früher heimzugehen.
Der Traubensaft knirscht an ihren Zähnen. Berrin liest weiter Reis, als würde sie nichts hören.
– Du wußtest genau, daß ich den zweiten Film sehen wollte, den mit Ava Gardner.
Fuat ist jetzt aufgestanden und geht auf sie zu. Weder sein Gesicht, noch seine Körperhaltung verraten etwas. Vielleicht ist
Gül auch zu sehr mit ihrem Ärger beschäftigt, um darauf zu achten. Sie dreht sich wieder zum Schrank, öffnet die Tür und nimmt
sich noch ein Stück getrockneten Traubensaft, der vom Winter übriggeblieben ist. Schnelle Energie.
– Schluß, platzt es laut aus Fuat heraus.
Gül dreht sich um, die Schranktür ist noch offen, Berrin |283| hat aufgehört, Reis zu lesen, und sieht zu den beiden hoch, die sich jetzt gegenüberstehen.
– Was? blafft Gül zurück.
Fuats Hand trifft die Schranktür, die nur deshalb nicht gegen Güls Gesicht schlägt, weil sie sich mit einer Hand noch daran
festgehalten hat.
Das Geräusch einer flachen Hand auf dem Fliegengitter und dann: Stille. Keiner der drei bewegt sich, keiner wagt als erster
zu atmen. Schließlich, nach vier langen Sekunden, schnaubt Fuat verächtlich, geht aus der Küche, schlüpft in seine Schuhe,
auf deren Fersen er tritt, schlägt die Haustür zu und stapft davon. Gül wartet, als gäbe es etwas zu warten. Als müßte ihre
Mutter etwas sagen oder tun. Später wird Gül sich Vorwürfe machen. Ich hätte nicht in Gegenwart seiner Mutter so mit ihm reden
dürfen, wird
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