Die Tochter des Schmieds
nicht ins Dorf zurück, oder? Wir kommen doch beide aus der Stadt …
– Bist du verrückt geworden, Weib? Das würde ja aussehen, als hätte ich Angst vor ihm. Nein, das ist ausgeschlossen.
Als er später mit der angenehmen Trägheit, die ihn überkommt, wenn er bei seiner Frau gewesen ist, im Bett liegt, überlegt
er, daß das vielleicht keine so schlechte Idee ist. Eigentlich war er ja nur aufs Dorf gezogen, weil seine Mutter so eifersüchtig
auf Fatma war. Auf diese Frau wird sie nicht eifersüchtig sein.
|74| Er könnte das Haus im Dorf und seinen Weinberg verkaufen und ein neues Haus in der Stadt suchen, in der Nähe seiner Mutter.
Schlimmstenfalls müßten sie die goldenen Armreife verpfänden, die Arzu mit in die Ehe gebracht hat. Der Weg zur Schmiede würde
kürzer werden, und er könnte immer noch nebenbei Handel treiben. Stolz ins Dorf reiten und Tufan zeigen, daß er keine Angst
hat.
Arzu spricht ihn in den nächsten Tagen noch zweimal darauf an, daß sie in die Stadt ziehen könnten, weg von diesen einfältigen
Dorfbewohnern, die noch in die Sträucher machen, Läuse und Flöhe und Wanzen haben und nicht richtig sprechen können. Und obwohl
Timur beide Male nein sagt, hofft sie doch, daß er eigentlich ja meint. Wenn sie schon drei Kinder aufziehen muß, die nicht
die ihren sind, dann möchte sie wenigstens in der Stadt leben und nicht auf einem dieser Dörfer, wo alle die gleiche Kleidung
tragen und sich nur einmal im Monat waschen. Und da sie bereits erfahren hat, wie stur Timur sein kann, spricht sie ihn nicht
noch öfter darauf an, sondern geht zu ihrer Schwiegermutter.
– Mutter, sagt sie, wäre es für dich nicht eigentlich besser, wenn Timur wieder in die Stadt zöge? Der Herr behüte, aber wenn
dir eines Tages etwas zustoßen sollte, dann sind wir weit weg. Ich weiß, du hast Hülya hier, und du bist mit guten Nachbarn
gesegnet. Aber Timur reitet jeden Tag hin und her, seine Geschäfte auf dem Dorf laufen nicht so gut, wie du weißt, und niemand
kann Herr über zwei Königreiche sein. Glaubst du nicht, die Schmiede würde noch besser laufen, wenn er immer hier wäre? Wenn
er nicht im Winter im Dorf bleiben müßte, weil die Straßen zugeschneit sind? Ach, ich weiß ja auch nicht, sagt sie, ich rede
nur so vor mich hin.
Gül bleibt wieder viel zu Hause in diesem Sommer. Sie springt nicht Seil und spielt nicht Himmel und Hölle oder Vater, Mutter,
Kind. Dabei mag sie es, ihre Freundinnen in ihr imaginäres Haus einzuladen, ihnen Tee zu kochen, Gebäck anzubieten, ihre kleinen
Kinder zu herzen und dem Mann, wenn er |75| von der Arbeit kommt, dicke Bohnen in einem Blechnapf zu bringen, zusammen mit frisch gebackenem Brot und einem Holzlöffel.
Doch hier im Sommerhaus bleibt sie drinnen oder geht nach hinten in den Garten, spielt allein oder redet mit Sibel, wie Fatma
es mit ihr getan hatte, als sie auch so alt war. Sie kann stundenlang mit ihrer kleinen Schwester zusammensein und ihr immer
wieder Küsse auf die Wangen drücken und die Windeln wechseln, wenn es nötig ist.
Arzu verbringt viel Zeit mit den Nachbarinnen, hält Schwätzchen oder lädt die Frauen zu sich ein, um ihnen Kaffee zu machen.
Die wenigsten können sich Kaffee leisten, aber Arzus Mann verdient genug, und sie ist stolz darauf. Wenn Arzu zu Hause ist,
soll Gül in Rufweite bleiben, denn ihrer Mutter fällt dann oft ein, daß Wasser aus dem Brunnen gepumpt werden muß, die Zimmer
zu fegen, die Decken und Kissen auszuklopfen sind. Gül macht es nichts aus, diese Aufträge zu erfüllen, es stört sie nur,
daß Arzu sie nicht lobt, wie ihre Mutter es so oft getan hat.
Manchmal bekommt auch Melike eine Aufgabe. Sie aber drückt sich, geht nach dem Frühstück auf das Klo und klettert dann über
die niedrige Mauer, um fast bis zum Abend verschwunden zu bleiben. Oder sie täuscht Magenschmerzen vor. Sie weiß, wie es sich
anfühlt, wenn man zuviel unreifes Obst gegessen hat, und kann das gut nachspielen.
So vergeht der Sommer, die Äpfel werden reif, Melike täuscht immer noch Magenschmerzen vor, Sibel spricht schon ihre ersten
Worte, Arzu wird schwanger und weiß nicht, wie sie es Timur sagen soll.
Timur hat das Haus in dem Dorf und den Weinberg verkauft, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Seine Mutter hat wahrscheinlich
recht, die Schmiede wird besser laufen, wenn er in der Stadt ist. Er kauft ein Haus in dem Viertel, in dem seine Mutter lebt,
eine halbe Stunde
Weitere Kostenlose Bücher