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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Fußweg von seinem Sommerhaus entfernt. All sein Geld gibt er aus für ein Stadthaus, das nicht frei steht
     wie das Haus auf dem Dorf, sondern |76| eingequetscht ist zwischen zwei anderen. Es hat genau wie das Dorfhaus zwei Zimmer und eine Küche, doch die Zimmer sind größer,
     und der Boden ist aus Stein und nicht aus festgestampftem Lehm. Außerdem gibt es einen kleinen Vorratsraum im Haus, zu dem
     man einige Stufen hinuntersteigen muß, und es gibt einen Hof und einen Schuppen, der an den Stall grenzt.
     
    Gül wird Recep und ihre Freundinnen lange nicht wiedersehen. Sie wird mit Kindern in eine Klasse gehen, die lachen, sobald
     sie nur den Mund aufmacht. Das Haus, in dessen hohler Wand ihr Vater die Gewehre versteckt hatte, wird weit weg sein.
    Sie braucht keine Angst mehr zu haben, daß Tufan ihr irgendwo auflauert. Oder daß ihr Vater verletzt heimkommt. Oder gar nicht
     mehr. Noch immer sitzt sie manchmal vor dem Klo, wenn er sein Geschäft verrichtet.
    Am zweiten Tag, nachdem sie ins Stadthaus gezogen sind, bringt ihr Vater sie und Melike, die ihren ersten Schultag hat, zur
     Schule. Er geht mit seinen Töchtern zu einer Lehrerin, tätschelt Gül die Wange, sagt: Hier ist meine Tochter. Und verschwindet
     mit Melike. Zu ihrem Lehrer wird er sagen, was die Eltern in jenen Zeiten oft sagen: Das Fleisch ist dein, die Knochen mein.
     Was heißen soll: Prügel sie ruhig, wenn sie es verdient.
    Gül steht mit dieser streng aussehenden älteren Frau auf dem Gang und kriegt kaum den Mund auf, als sie nach ihrem Namen gefragt
     wird. Bisher hatte sie einen Lehrer, und jetzt steht sie einer Frau gegenüber, die sie an der Hand nimmt und durch den Korridor
     führt. Die Schule kommt Gül riesig vor, sie wird sich hier verlaufen. In der alten Schule haben sie in den Pausen einfach
     draußen gespielt. Hier gibt es einen Hof, auf dem alle Kinder schon versammelt sind, um die Nationalhymne zu singen. Es sind
     so viele Kinder, daß Gül sich fragt, wie die alle ins Klassenzimmer passen sollen.
    – Stell dich hierhin, sagt die Lehrerin und schiebt sie zu einer Gruppe von Kindern.
    |77| Gül singt die Hymne mit. Wenigstens die ist die gleiche. Danach führt die Lehrerin die Gruppe, bei der sie gestanden hat,
     in ein Klassenzimmer. Jetzt beginnt Gül zu begreifen, warum die Schule so groß und unübersichtlich ist. Die Schüler werden
     auf verschiedene Klassenzimmer verteilt. Sie braucht noch einen weiteren Tag, um zu verstehen, daß das hier eine dritte Klasse
     ist, daß nicht die Schüler aller Klassenstufen zusammen in einem Raum sitzen.
    Güls Banknachbarin heißt Özlem. Ungefragt erzählt sie in der Pause, daß sie die Tochter eines Generals ist. Gül sagt leise
     ihren Namen und den Beruf ihres Vaters. Sie glaubt, wenn sie leise spricht, würde man nicht hören, daß sie vom Dorf kommt.
     Doch sie merkt sehr bald, daß sie hier wegen ihres Dialektes kaum ausgelacht wird. Sie hat ein Problem, das viel größer ist.
     Bisher konnte sie immer so tun, als könnte sie gut lesen, weil der Lehrer streng nach Buch gearbeitet hat. Wenn sie einen
     Text vorlesen sollte, hat sie in das Buch geschaut und ihn auswendig aufgesagt. Sie hatte alle Texte schon so oft gehört,
     daß es ihr leichtfiel. Doch die neue Lehrerin hält sich nicht an das Buch, und während alle anderen flüssig lesen und schreiben
     können, hat Gül erhebliche Schwierigkeiten, dem Unterricht zu folgen. Sie ist eine halbe Analphabetin. Die Lehrerin versucht
     Gül zu helfen, doch da sind noch vierzig andere Kinder in der Klasse, und Gül verliert schnell die Lust, weil sie nicht mitkommt.
     Ihre Lehrerin ist nicht so streng, wie sie aussieht, aber wenn sie jemanden schlägt, was nicht so häufig vorkommt, macht sie
     keine Unterschiede, ob Junge oder Mädchen, das Lineal saust auf die Handfläche hinunter oder die Hand auf die Wange.
    Gül ist in den ersten Wochen sehr froh, wenn sie in der Mittagspause, die in der Stadt anderthalb Stunden lang ist, nach Hause
     kann. Es stört sie nicht, daß es dort immer etwas zu tun gibt. Mal muß sie auf Sibel aufpassen, mal die Steinchen aus dem
     Reis oder den Linsen lesen oder vor der Tür fegen. Höchstens spätabends, wenn es draußen dunkel geworden ist und Ruhe einkehrt,
     wenn man nur noch das Zischen der |78| Druckluftlampe hört und die Insekten, die dagegenfliegen, kommt sie dazu, Hausaufgaben zu machen.
    Nach einer Weile geht Melike in den Mittagspausen kaum noch nach Hause, sie geht zu ihren

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