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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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hinzu:
    – Fürchte dich nicht, es wird nicht weh tun.
    Hülya schien beides nicht zu hören, sie konnte kaum atmen, und als der Gips aufgesägt wurde, schrie Timur heraus:
    |12| – Papa, Papa, ihre Augen verrutschen.
    Doch da war es schon geschehen. Seit jenem Tag schielte seine Schwester.
     
    Wenn die kleinen Mädchen vor der Schmiede auf der Straße spielten, ging Necmi manchmal hinaus und rief sie zu sich. Dann nahm
     er sie mit zum Krämer, wo die Mädchen ihre Röcke schürzten und jedes eine Handvoll Süßigkeiten hineinbekam. Und Timurs Vater
     hatte riesige Hände.
    Als er anfing, in der Schmiede zu arbeiten, hatte Timur diese Gewohnheit seines Vaters übernommen. Damals hatte er Fatma oft
     Süßigkeiten in den Rock gelegt. Er mochte vierzehn, fünfzehn gewesen sein und sie zehn Jahre jünger. Immer noch konnte er
     sich an das Lächeln dieses Mädchens erinnern.
    Niemand wußte etwas Genaues über Fatmas Eltern, die einen sagten, es seien Griechen gewesen, die nächsten Aramäer, und wieder
     andere behaupteten, daß sie die Tochter von Tscherkessen sei. Man war sich nur darüber einig, daß das Paar nach den Wirren
     des ersten Weltkriegs in die Stadt gekommen war. Fatmas Vater war schon vor ihrer Geburt gestorben. An einem Tag hatte er
     noch über Rückenschmerzen geklagt, und zwei Wochen später hatte der Krebs bereits seinen ganzen Körper erfaßt. Fatmas Mutter
     hatte angefangen, als Kinderfrau für eine reiche Familie zu arbeiten, um sich und ihre Tochter ernähren zu können. Als Fatma
     ein halbes Jahr alt war, wurde die Mutter auf dem Marktplatz von Pferden totgetrampelt. Auch davon konnte jeder eine andere
     Geschichte erzählen, sicher war nur, daß die Pferde durchgingen und sie gestürzt war. Die Familie, bei der Fatmas Mutter Kinderfrau
     gewesen war, hatte Fatma aufgenommen.
    Obwohl sie schon viel älter war, spielte Timurs Schwester Hülya oft mit Fatma, weil Fatma sie nicht hänselte. Die anderen
     Kinder machten sich über sie lustig, weil sie schielte und weil ihre Füße immer noch leicht nach innen zeigten, was ihr einen
     watscheligen Gang verlieh. Doch Fatma mochte Hülya, Fatma mochte fast jeden, sie war ein fröhliches Mädchen, |13| das sehr schnell Freundschaften schloß. Und eben noch hatte Timur als Jüngling diesem Mädchen Süßigkeiten in die Röcke gelegt,
     und nun sollte es schon erwachsen geworden sein.
    – Sollen wir dich mit Fatma verheiraten? fragte seine Mutter zum zweiten Mal. Du bist jetzt fünfundzwanzig, es wird Zeit,
     daß du heiratest.
    Als Hülya schon sechs Jahre lang schielte, war ihr Vater krank geworden. Er hatte eine Woche im Bett gelegen und war am achten
     Morgen nicht mehr aufgewacht. Das erste Jahr danach war schwer gewesen für sie alle, doch Zeliha hatte die Schmiede vermietet
     und es geschafft, immer genug Geld für Essen zu haben und wahrscheinlich sogar noch mehr. Timur hatte weiter in der Werkstatt
     geholfen, und als er sechzehn wurde, hatte er die Schmiede übernommen und den Unterhalt der Familie verdient, den seine Mutter
     verwaltete.
    Und jetzt war er fünfundzwanzig, und sein Leben gefiel ihm. Er arbeitete gern in der Schmiede, er saß in den Teehäusern und
     rauchte Tabak aus der Wasserpfeife, und ab und zu betrank er sich. Dann schien alles von ihm abzufallen, er genoß sich und
     die Welt, er ließ alles nur noch Freude sein, es war, als würden ihm die Sterne der Nacht ins Haar regnen, als wären sie Süßigkeiten,
     die man kleinen Mädchen in die Röcke legen könnte. Wenn er trank, wurde alles eins, die Schönen und die Häßlichen, der Himmel
     und die Hölle, Sackleinen oder Seide, Kopfkissen oder Lehmgrund. So lange es diese Freude und die Arbeit gab, konnte ihm nichts
     passieren. Und wenn er eine Abwechslung brauchte, fuhr er einfach in die große Stadt und genoß dieses Gefühl von Abenteuer,
     das er kannte, seit er zum ersten Mal dort gewesen war. Er hatte kein Bedürfnis danach, sich zu verheiraten, und nun stand
     er in einer Winternacht betrunken vor seiner Mutter, es lagen noch Schneeflocken auf den Schultern seines Mantels, und er
     sagte:
    – Ja. Dann geh hin und frag, ob sie sie uns geben.
    Und Zeliha sagte:
    |14| – Gesegnet sei der Herr. Ich gehe gleich morgen hin und mache das fest.
     
    Ja, hatte er gesagt, nachts, betrunken, ja, als hätte ein Schicksal ihm dieses Wort in den Mund gelegt. Es war nicht das erste
     Mal, daß seine Mutter jemanden vorgeschlagen hatte, aber dieses Mal hatte er ja gesagt.

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