Die Tochter des Schmieds
Doch war Fatma überhaupt alt genug?
Gleich am nächsten Morgen zog er seine Schwester beiseite.
– Du kennst doch Fatma, die kleine Waise?
– Ja.
– Mutter will, daß ich sie heirate.
Hülya wollte ihren Bruder schon umarmen, aber er hielt sie zurück.
– Tu mir einen Gefallen, ja? Finde einen Vorwand, und übernachte bei ihnen. Ihr seid doch befreundet, nicht wahr, ihr kennt
euch doch gut?
Hülya sah in verständnislos an.
– Sieh mal nach, ob sie überhaupt schon Brüste hat. Die ist noch viel zu klein zum Heiraten, oder nicht? Was soll ich mit
einer Frau ohne Brüste?
Da Hülya zögerte, fügte Timur hinzu: Bitte. Ein Bitte, das eher klang wie: Geh.
– Gut, sagte Hülya, ich werde es versuchen. Doch mit oder ohne Brüste, Fatma würde dir eine gute Frau sein, glaub mir.
Davon war Timur noch nicht überzeugt, aber da er seinen Mund nicht halten konnte, erzählte er, als er mittags Pause machte,
seinen Freunden davon.
– Meine Mutter geht heute, um eine Vereinbarung zu treffen. Fatma und ich werden heiraten.
– Fatma, die kleine Waise? Geh, sagte der Sohn des Friseurs, die sieht doch aus, als hätte sie Sumpffieber.
– Sumpffieber?
– Ja, was weiß denn ich, sie ist immer so gelb und kränklich. Hast du sie mal gesehen in letzter Zeit?
Timur schüttelte den Kopf. Doch nach der Pause sagte er |15| zu seinem Gehilfen, er müßte noch etwas erledigen und käme wahrscheinlich im Laufe des Nachmittags wieder.
Und dann drückte er sich trotz des starken Schneefalls bis zum Einbruch der Dunkelheit vor dem großen Haus herum, in dem Fatma
wohnte.
– Im Frühling, sagte Zeliha abends, im Frühling werdet ihr heiraten. Ich habe es heute vereinbart. Sie ist ein fleißiges Mädchen
und umgänglich, sie wird mir bei der Arbeit helfen können, und du wirst dich etwas weniger herumtreiben.
Sumpffieber und keine Brüste, Timur hatte sich das etwas anders vorgestellt. Er mußte sich überwinden, doch er bekam es heraus:
– Das ging jetzt alles ein bißchen schnell. Ich hatte kaum Zeit nachzudenken.
– Du hattest fünfundzwanzig Jahre Zeit, sagte seine Mutter.
Timur war stark wie ein Löwe, niemand konnte es mit ihmaufnehmen, er war stark wie ein Löwe und stolz, was sollte er mit so
einem kranken Mädchen anfangen? Gestern, als die Sterne sich in seinen Haaren verfingen, hatte er ja gesagt, aber heute berührten
seine Füße den Boden.
– Und? fragte er seine Schwester, als sie am nächsten Morgen nach Hause kam. Er hatte schlecht geschlafen und keinen Appetit.
– Und was? antwortete diese.
– Na, hat sie …?
– Es war zu dunkel im Zimmer.
– Du hättest doch mal unauffällig fühlen können.
– Das ging nicht.
– Konnte man denn etwas unter dem Nachthemd erkennen?
– Nein, aber sie ist ja noch sehr jung, die können noch nicht so groß sein, daß man sie direkt sieht.
– Falls sie welche hat …
|16| An diesem Tag überließ Timur die Schmiede wieder seinem Gehilfen, der sich wunderte, weil Timur sonst nie so lange wegblieb.
Erneut ging der Schmied zu dem Haus, in dem Fatma wohnte, und als er seine Füße vor Kälte bereits nicht mehr spürte, kam sie
gerade mit einem Tonkrug aus der Tür. Er hatte sich hinter einen Mauervorsprung gestellt, und Fatma sah ihn erst, als sie
fast schon vor ihm stand. Sie wußte, daß das der Mann war, dem sie gestern versprochen worden war, und sie machte kehrt und
lief ein Stück zurück, bevor sie unvermittelt stehenblieb. Offenbar war ihr eingefallen, daß sie nicht ohne Erklärung zurück
ins Haus kommen konnte. Sie drehte sich wieder um, sie mußte zum Nachbarn, Essig holen. Unentschlossen ging sie zwei Schritte
vorwärts, langsam, zögernd, den Blick auf den Boden gerichtet. Dann machte sie wieder einen Schritt rückwärts, ihre Wangen
glühten, der Schnee knirschte unglaublich laut unter ihren Füßen, und sie blieb stehen. Sie hörte ein weiteres Knirschen,
dann noch eins und noch eins, und als sie langsam den Kopf hob, sah sie den breiten Rücken des Schmieds.
Timur zündete sich eine Zigarette an und lächelte. Vielleicht hatte sie keine Brüste, aber sie war schön. Sie war schön wie
ein Stück vom Mond. Sie war schön, als wären da immer noch Sterne in seinen Haaren.
Timur kehrte nicht sofort zurück in die Werkstatt, er ging zum Kaufmann, um sich das einzige Bett zeigen zu lassen, das zum
Verkauf stand. Er folgte dem Kaufmann ins Lager, glitt langsam in die Hocke und sah das Gestell
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