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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Laken, die Kissen, und ganz obenauf legt sie ein Tuch, um die Sachen vor Staub zu schützen, und
     damit es schöner aussieht. Währenddessen kümmert ihre Mutter sich um die Gemüsebeete, räumt auf und fängt schon damit an,
     das Mittagessen vorzubereiten.
    Donnerstags ist Markttag, und alle stehen früher auf, Arzu geht direkt nach dem Frühstück in die Stadt, und Gül läuft hinaus,
     sobald ihre Mutter außer Sichtweite ist. Auch die anderen Kinder genießen es, so früh auf die Straßen laufen und spielen zu
     können. Gül mag besonders das Versteckspielen, dabei kann sie alles vergessen. Es ist so schön, einen einsamen Platz zu suchen
     und dann ganz still dort zu sitzen, es erfüllt sie mit Freude, und oft genug wird sie nicht gefunden.
    |88| Für ein paar Stunden vergißt sie donnerstags alles, doch wenn sie merkt, daß es schon nach Mittag ist, läuft sie heim. Sie
     muß sich beeilen, sie muß heute alle Betten machen, abwaschen, aufräumen, und sie muß auch alle Zimmer fegen. Sie muß, kurz
     bevor ihre Mutter kommt, die Straße vor dem Haus mit Wasser besprenkeln, damit es nicht staubt, wenn die Kutsche hält und
     die Einkäufe ins Haus getragen werden. Es stört sie nicht, daß sie so viel zu tun hat und daß sie sich jedes Mal beeilen muß,
     um pünktlich fertig zu werden. Es stört sie, daß ihre Mutter heimkommt, sieht, daß alles erledigt ist, und wieder kein Wort
     des Lobes übrig hat.
     
    Ein Nachbar, Onkel Abdurahman, wie alle ihn nennen, ein alleinstehender, pensionierter Dorfschullehrer mit einem grauen Vollbart,
     hat mitbekommen, daß Gül sitzengeblieben ist, und vorgeschlagen, mit ihr zu lernen. Der Mann mag Kinder, und Gül mag diesen
     Mann mit der tiefen, dunklen Stimme, und so geht sie in diesem Sommer dienstags zu Onkel Abdurahman, und er lernt ein, zwei
     Stunden mit ihr, gibt ihr Hausaufgaben auf und läßt sie sich das nächste Mal zeigen.
    – Schön hast du das gemacht, sagt er zum Beispiel, aber schau mal hier, sieh noch mal genau hin. Ich weiß, daß du das kannst,
     du mußt dich nur ein wenig konzentrieren. Ja, so, siehst du, du hattest dich nur um zwei verrechnet, das kann passieren, aber
     jetzt ist es richtig, und du hast es ganz allein gemacht. Fein, murmelt er immer zuletzt in seinen Bart und grinst sie an.
    Manchmal kann Gül es gar nicht erwarten, bis wieder Dienstag ist, und sie geht schon am Montag zu Onkel Abdurahman, und er
     lernt mit ihr. Manchmal geht Gül sogar dreimal in der Woche hin, und sie weiß, daß sie nicht noch einmal sitzenbleiben wird.
     
    Timurs Bett ist mittlerweile berühmt in der ganzen Stadt, noch immer steht es selten länger als einen Monat in seinem eigenen
     Schlafzimmer. Von dem Ruf des Bettes angestachelt, |89| bestellen zwei reiche Männer bei Timur ebensolche Betten. Der eine ist ein Kaufmann, dem das einzige Auto in der Stadt gehört,
     und der andere General, Özlems Vater. Beide glauben einen guten Preis auszuhandeln, doch Timur ist stolz darauf, daß er so
     schöne Betten schmieden kann. Und der Preis, auf den er sich runterhandeln läßt, ist auch sehr stolz. Er wird schwitzen für
     sein Geld, er wird in der Gluthitze des Sommers schwitzen für das Geld, mit dem er sich ein Radio kaufen will.
    Es ist das einzige Radio in der Straße, und die Nachbarn versammeln sich beim Schmied, um den Stimmen aus diesem Gerät zu
     lauschen. Als ihr Vater es Gül erklärt, versteht sie, daß keine kleinen Menschen da drin sitzen und eine Art Theater spielen.
     Sie versteht es, aber sie kann nicht begreifen, warum die Sendungen weitergehen, wenn man das Gerät ausschaltet. Warum man
     am nächsten Tag nicht an der Stelle weiterhören kann, wo man gestern aufgehört hat. Wohin verschwinden die Stimmen, wenn sie
     nicht aus diesem Kasten herauskönnen?
    Nachdem er vierzehn Tage lang von der ganzen Nachbarschaft besucht wurde, hat der Schmied genug. Er kauft einen Lautsprecher,
     den man an das Radio anschließen kann, und stellt ihn auf das Dach seines Sommerhauses. Abends schaltet er sein Radio ein,
     und die Nachbarn sitzen auf den Stufen vor ihrer Haustür oder auf Bänken, manche auf Kissen, andere auf dem nackten Stein,
     manche trinken Tee, manche knabbern Sonnenblumenkerne, und sie alle lauschen an den Sommerabenden den Hörspielen und Nachrichtensendungen
     und den alten Sängern, die sich selbst mit der Saz begleiten und mit brüchiger Stimme von ihrer Sehnsucht singen. Davon, daß
     die Schönheit keine zwei Münzen wert ist,

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