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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Eisschicht auf dem Wasser mit ihrem Daumen eindrücken muß, bevor sie trinken kann.
    – Es ist kalt, hat sie zu ihrem Vater gesagt, uns ist nachts so kalt.
    – Ihr könntet im Stall schlafen, hat Timur geantwortet, dort ist es wärmer.
    – Nein, hat Gül gesagt.
    Sie friert lieber, als zusammen mit den Mäusen in einem Stall zu schlafen.
     
    So vergeht der erste Winter in der Stadt, Arzus Bauch beginnt sich zu wölben, und sie sagt Timur nichts, bis er es selber
     sieht. Nur sein Blick auf ihren Bauch verrät ihr, daß er es gemerkt hat. Sie verschweigt ihre Schwangerschaft, so wie sie
     ihre Freude darüber verschweigt, daß sie bald ein eigenes Kind haben wird, eins von ihrem Fleisch und Blut.
    Auch wenn sie nicht viel Geld haben, gibt es jeden Morgen eine heiße Suppe, sie essen oft getrockneten Traubensaft mit Walnüssen,
     sitzen abends beim Schein der Druckluftlampe zusammen, während Gül manchmal über ihren Hausaufgaben einschläft. An vielen
     Abenden kommt Zeliha vorbei, viel seltener gehen sie alle zusammen zu ihr. Gül paßt immer auf, nicht zu nahe bei ihrer Großmutter
     zu sitzen. Und sie geht nur noch zu ihr, wenn sie geschickt wird. Sie möchte Özlem, von der sie sich weggesetzt hat, nicht
     dort begegnen. |86| Selbst als es wieder wärmer wird, geht Gül mittags noch oft in die Schmiede, aber nicht zu häufig, weil ihre Mutter sonst
     schimpft. Arzu braucht jemanden, der ihr im Haushalt hilft. Herr, gib mir Kraft, murmelt sie häufig vor sich hin, wenn sie
     mit ihrem dicken Bauch die Hausarbeit erledigt, gib mir Kraft und Geduld.
    Wenn in der Schmiede nicht viel zu tun ist, läßt sich Timur manchmal von Gül den Rücken kratzen und gibt ihr hin und wieder
     ein paar Kuruş dafür.
    Gül hat an diesem Tag wieder ihrem Vater den Rücken gekratzt, er hat schon eine Münze in der Hand, als sie sagt:
    – Ich werde sitzenbleiben.
    Das ist ihr seit einigen Wochen klar, aber sie hat sich nicht getraut, es zu sagen. Und jetzt, nachdem ihr Vater gerade so
     behaglich geseufzt hat, ist es ihr herausgerutscht.
    Der Schmied läßt die Hand mit dem Geld sinken und sieht kurz die Münze an. Dann lächelt er, holt eine weitere Münze hervor,
     gibt ihr beide und sagt:
    – Das ist nicht so schlimm. Aber nächstes Jahr gibst du dir mehr Mühe. Das mußt du mir versprechen.
    – Versprochen, sagt Gül, und es kommt ihr falsch vor, das Geld zu nehmen, aber sie tut es trotzdem. Sie wird es nicht sparen,
     sie wird ihren Schwestern von der Schokolade in dem bunten Stanniolpapier kaufen, die Melike so gern ißt. Die Kinder mögen
     diese Schokolade am liebsten, weil die Farben auf dem Stanniolpapier so leuchten und weil der Geruch lange in dem Papier bleibt.
     Noch Wochen später hält Melike sich die zerknitterte Folie unter die Nase, atmet ein und sagt:
    – Schokolade.
     
    Daß sie sitzengeblieben ist, vergißt Gül in diesem Sommer sehr schnell. Ihr Dialekt ist im Laufe des Jahres verschwunden,
     sie hat keine Hemmungen mehr, mit den anderen Kindern zu spielen, Himmel und Hölle, Nachlaufen, Verstecken und Vater, Mutter,
     Kind.
    Es ist warm, sie kann nachts Wasser trinken, ohne vorher |87| mit den Fingern ein Loch ins Eis zu bohren, sie muß nicht früh aufstehen, um in die Schule zu gehen. Der einzige Nachteil
     ist, daß Melikes Uringeruch sich in der Wärme besser entfalten kann und Gül manchmal zusammen mit den ersten Sonnenstrahlen
     in die Nase dringt.
    Im Sommerhaus schlafen die Eltern zusammen in einem Zimmer, Sibel schläft bei ihren Schwestern im anderen und Zeliha im Wohnzimmer.
     Güls Großmutter verbringt den Sommer bei ihnen, doch sie ist nicht allzu häufig im Haus. Schon nach dem Frühstück sitzt sie
     draußen mit den anderen Großmüttern zusammen, trinkt Tee mit ihnen, raucht und kommt meistens erst am späten Abend wieder.
    Arzu melkt jeden Morgen die Kühe, mistet den Dung aus, pflückt Tomaten und Gurken für das Frühstück. Nach dem Frühstück muß
     Gül abwaschen, den Flur fegen, in dem sich der Sommerstaub der unbefestigten Straße sammelt, sie muß die Betten machen, ihr
     eigenes und die ihrer Schwestern. Als Matratzen haben sie große flache Sitzkissen, die abends zusammengelegt werden, jeweils
     zwei für Melike und Gül und eins für Sibel. Falls Melike eins der Kissen naßgemacht hat, wird es morgens zum Trocknen auf
     die Wiese gelegt. Die anderen stapelt Gül in einer Ecke des Zimmers aufeinander und legt dann die gefalteten Sommerdecken
     darauf, darüber kommen die

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