Die Tochter des Schmieds
Kinder, er hat eine Frau, die Kraft ist noch lange nicht aus seinen Armen
gewichen und nicht aus seinem Rücken. Immer noch ist er der Mann, mit dem sich niemand gern anlegt, weil er seine Fäuste zu
gebrauchen versteht, und immer noch ist der hellhäutige Mann mit den blauen Augen jemand, den man betrügt, weil er gutgläubig
ist und nicht weiß, wie man mit diesen kräftigen Händen das Geld zusammenhalten kann. Er gibt zwar nicht mehr jedem, der sich
etwas leihen möchte, aber fast jedem, der sein Herz erweichen kann. Und das ist nicht härter als frisch gebackenes Brot.
So gehen die Sonnentage dahin, Gül wäscht die Wäsche, fegt das Haus, kümmert sich um Nalan und Emin, sie gehen ins Hamam,
auch im Sommer, immer noch spricht Onkel Abdurahman manchmal davon, daß Gül die Schule hätte schaffen können. Gül denkt oft
an Candan, doch die beiden sehen sich in den achtzehn Wochen, die die Familie des Schmieds im Sommerhaus verbringt, gerade
viermal. Als sie sich zufällig im Hamam treffen, fällt Gül auf, daß ihre Mutter Esra nur kurz grüßt und dann völlig ignoriert.
Gül würde Esra Abla gern den Rücken einseifen, doch ohne sich den Grund erklären zu können, spürt sie, daß das ihrer Mutter
nicht gefallen würde. Sie spielt nur mit Candan, läßt sich von ihr mit kaltem Wasser bespritzen, daß sie kieksen muß, und
freut sich, wenn die Kleine lacht.
|168| Es ist ein leichter Sommer für Gül, ein sorgloser, auch wenn sie das noch nicht weiß. An die Mühen hat sie sich gewöhnt, und
die Freuden kann sie genießen. Es ist ein langer, heißer Sommer, und Ende August drohen die Äste der Apfelbäume unter der
Last der Früchte abzubrechen. Timur stützt die schwersten Äste mit gegabelten Stöcken, deren Enden in die Erde gerammt werden.
Zwar hat er sich nicht zeitig genug darum gekümmert, Erntearbeiter anzuwerben, doch die Bäume tragen so ungewöhnlich viele
Äpfel, daß die Tagelöhner zur Erntezeit von selber an die Tür des Schmieds klopfen.
Als es schließlich soweit ist, packen alle mit an, Arzu, Gül, Melike, Sibel, Tante Hülya und vier Tagelöhner. Fünf Tage brauchen
sie, bis alles abgeerntet ist. Und da sie die ersten sind, die ihre Äpfel verkaufen, erzielen sie einen guten Preis. Nachdem
Timur die Arbeiter ausbezahlt hat, bleibt noch reichlich Geld übrig, sehr viel mehr als in den vergangenen Jahren. Abends
sitzt Timur erschöpft da, ein Kissen im Rücken, die Beine weit von sich gestreckt, und er würde gern eine Zigarette rauchen,
um diese Schwere aus seinem Körper zu vertreiben. Er fragt sich, wieviel Tage er sich ausruhen soll, bevor er nach Istanbul
fährt.
Gül will ihm die Waden kratzen, doch er ist so abgeschlagen, daß nicht mal seine Beine jucken. Gül bleibt noch ein wenig bei
ihm, auch sie ist müde.
– Papa? sagt Gül.
– Ja, mein Schatz.
– Kannst du mich auch ausbezahlen?
– Wie?
– Wie die Arbeiter.
– Wie die Arbeiter? Du bist meine Tochter, du bist kein Arbeiter. Du bist der Glanz meiner Augen, du bist doch kein Tagelöhner.
Gül könnte so viel erwidern, aber sie geht nur enttäuscht in das Zimmer, in dem sie mit ihren Schwestern schläft, sie will
heute früher ins Bett. Als sie sich schon hingelegt hat, kommt |169| ihre Mutter ins Zimmer und setzt sich an das Kopfende ihrer Matratze.
– Müde? fragt sie.
– Ja, sagt Gül.
– Morgen wirst du dich wie neugeboren fühlen, so fest wirst du schlafen. … Gül, ich möchte dich um einen Gefallen bitten.
Ihre Mutter nennt sie nie beim Vornamen, außer wenn sie sie ruft.
– Dein Vater hört auf dich. Er kann dir keinen Wunsch abschlagen. Ich hätte so gerne einen Pelzmantel für den Winter. Wie
die Frau des Generals. Der Winter wird bestimmt hart nach so einem Sommer. Könntest du ihn fragen?
– Ja, sagt Gül.
– So einen schönen Mantel, wie Neslihan ihn hat. Soll ich dir noch eine Milch bringen, ich habe sie gerade frisch gemolken.
Gül schüttelt den Kopf, obwohl sie gern Milch trinken würde, die noch warm ist vom Euter der Kuh.
Ich habe sie großgezogen, mag Arzu denken, ich habe sie gekleidet und genährt, ich habe mich sieben Tage in der Woche um sie
und ihre Schwestern gekümmert, ich habe alles getan, um es ihrem Vater recht zu machen, aber keinen Tag habe ich ihm seine
Frau ersetzen können. Dabei habe ich ihm einen Sohn geschenkt und nicht sie. Ich habe die Kinder behandelt wie meine eigenen
Töchter, so gut ich es konnte, ich bin nur
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