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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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dabei. Das aufgeschlagene
     Buch in ihren Händen, läuft sie durch die Zimmer und murmelt vor sich hin. Oder man sieht zumindest, wie sich ihre Lippen
     bewegen, und ständig nickt ihr Kopf in einem unregelmäßigen Takt. Ihre Methode wird sich noch ändern, aber Melike wird in
     der Schule nicht deswegen erfolgreich sein, weil sie Zusammenhänge begreift, sondern weil sie auswendig lernt.
    Sie lernt den Stoff auf eine Weise auswendig, daß sie hinterher weiß, bei welchem Wort des Textes eine Seite aufhört. Sie
     macht dann jedesmal eine kleine Bewegung mit dem Kopf, legt ihn von rechts nach links, blättert im Geiste um.
    Genauso wie bei Gül nicht darüber geredet wurde, daß sie mit der Schule aufhört, ist es jetzt klar, daß Melike nach den Ferien
     die Mittelschule besuchen wird.
    Während sie im Sommerhaus sind, geht Gül nicht zu Esra, und so verstreicht ein weiterer Sommer, ein sorgloser Sommer, in dem
     Kirschen geklaut werden, Beştaş gespielt wird, Verstecken, Fangen und gegen Abend, wenn es kühler wird, Völkerball. Völkerball
     ist ein Spiel der Älteren, doch mittlerweile darf Gül mitspielen, wenn sie die ganze Breite der unbefestigten Straße als Spielfeld
     benutzen. Und Melike darf auch mitspielen, aber nur, weil sie so gut ist und alle sich darum reißen, die quirlige Kleine in
     der Mannschaft zu haben.
    Wenn Melikes Mannschaft verliert, ist sie eingeschnappt und gibt den anderen die Schuld. Sie ist eine schlechte Verliererin,
     die schnell Streit anfängt, weil ihre Energien irgendwohin müssen, ihr Ärger und ihre Enttäuschung, ihr unbefriedigter Ehrgeiz.
    In der Dämmerung hockt man dann meist auf den Treppenstufen vor den Häusern und lauscht dem Radio, dem Klang des Lautsprechers
     auf dem Dach des Schmieds. Nebenbei |166| unterhält man sich, die Frauen stricken oder häkeln, die Männer sitzen manchmal im Garten, die traurigen Lieder aus dem Radio
     sind nur ein Nachhall, ein Summen in der Luft, in die sie den Rauch aus ihren Lungen blasen und den Anisgeruch ihres Atems.
     Mit gekreuzten Beinen sitzen sie dort, erzählen von den alten Zeiten, in denen die Menschen angeblich noch weise waren und
     keine Geldgier kannten. Wenn sie von den Eigenheiten der Alten und ihren Schrullen, von Kraft und Stolz, von rechtschaffenen
     Wegelagerern in den Bergen, von Rebellion und Heldentum erzählen, können sie die Magie fühlen, die jede Vergangenheit zu einem
     Märchenland werden läßt. Die Männer sitzen zusammen, und sie kennen die Texte zur Musik der alten Götter.
    Es vergeht ein Sommer mit aufgeschürften Knien, mit Spucke, die ganz flockig wird vor Durst, ein Sommer, in dem Gül beim Birnenklauen
     erwischt wird und der Besitzer des Gartens sie laufenläßt, als er sie erkennt.
    – Gül, du bist es, sagt der Alte, lauf, lauf den anderen hinterher, und hier, hier hast du eine Birne. Und richte deinem Vater
     einen Gruß aus.
    Emin kann laufen, er kann rennen, Purzelbäume schlagen, und er versucht sogar schon auf Bäume zu klettern. Nur Sprechen scheint
     ihm nicht zu liegen, am Ende des Sommers ist er anderthalb, aber er gibt nur Laute von sich, wenn er weint. Nalan hingegen
     redet den ganzen Tag, und wenn sie nicht redet, dann singt sie. Sie singt die Lieder, die sie aus dem Radio kennt, und ihr
     Gesang ist so schön, daß sich die älteren Mädchen aus der Nachbarschaft oft versammeln und ihr eine Süßigkeit oder einen Kaugummi
     versprechen, wenn sie ihnen etwas vorträgt.
    Seit Gül, Melike und Sibel ab und an zusammensitzen, wird Gül nicht mehr jedes Mal traurig, wenn sie von früher erzählt. Dafür
     fühlt Timur den glasigen Glanz seiner Augen, sobald er sieht, wie seine Töchter beisammensitzen.
    – Dank sei dem Herrn, Dank sei dem Herrn, daß ich das sehen darf, Dank sei ihm, auch wenn er Fatma so früh die |167| ewige Ruhe geschenkt hat. Fatma, wie schön sie war, wie ein Stück vom Mond.
    Obwohl er sich häufig an sie erinnert, muß er zugeben, daß die Momente, in denen er ihrer gedenkt, in den letzten Jahren seltener
     geworden sind. Doch falls ein Engel des Allmächtigen käme und fragte: Timur, Schmied Timur, möchtest du Arzu hergeben, um
     Fatma wiederzubekommen? Er würde ja sagen. Und würde der Engel des Allmächtigen fragen: Timur, bist du glücklich, lobst du
     den Herrn, bist du dankbar für dieses Leben mit seinen Freuden und Sorgen und Nöten, er würde wieder mit der gleichen Ehrlichkeit
     ja sagen.
    Gelobt sei der Vater im Himmel, er hat fünf gesunde

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