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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Ziffer
     für das Gewinnlos haben wir die … Neun. Herzlichen Glückwunsch dem glücklichen Gewinner. Und bevor wir nun zum zweiten Preis
     kommen …
    Gül kennt die Nummer ihres Viertelloses auswendig, aber sie hat nicht damit gerechnet, daß es ein Gewinnlos sein könnte. Und
     genauso wie vorhin der Gehilfe läßt sie sich nichts anmerken. Der Sprecher wiederholt noch mal die Zahlen, während jemand
     einen Fluch murmelt. Vielleicht werden Güls Augen glasig, vielleicht nur von dem Rauch im Raum.
    Niemand kann sehen, wie aufgeregt sie ist, wie ihr Herz wieder schlägt, und als sie mit einem Tablett mit leeren Teegläsern
     in die Küche geht, hört niemand, wie die Löffel gegen das Glas klirren, die Unterteller auf dem Tablett klappern, und niemand
     sieht, daß Güls Gang eine gewisse Ähnlichkeit mit Tante Hülyas Gang hat. Alle hoffen auf den zweiten Preis oder gar den Hauptgewinn.
     Doch vorher wird, um die Spannung zu steigern, noch ein Lied gespielt.
    Güls Beine scheinen sich zu verheddern, ihre Hände zittern. Als sie in der Küche das Tablett abgesetzt hat und Tee nachfüllen
     will, entgleitet ihr der Kessel, und das kochende Wasser ergießt sich auf ihren Fuß.
    Gül schreit, sie schreit in ein Lied hinein, in dem der Sänger die Taschen der Liebe besingt, in denen noch Platz ist für
     soviel Schmerz. Arzu kommt sofort in die Küche gelaufen, |184| Hülya und eine Nachbarin unmittelbar hinter ihr. Gül steht da und schreit immer noch. Ihre Mutter ruft: Aus, zieh den Strumpf
     aus.
    Gül kann nicht reagieren, sie hört auf zu schreien, aber sie kann sich nicht bewegen. Ihre Mutter stellt sich hinter sie,
     faßt sie unter den Achseln und verschränkt die Hände vor Güls Brust. Die Nachbarin kniet sich nieder und zieht Gül den Strumpf
     aus. Gül hat Glück gehabt, es ist nicht mehr sehr viel Wasser im Kessel gewesen. Sie setzen Gül, die angefangen hat zu weinen,
     auf einen Schemel und stecken ihren Fuß in eine Schüssel mit kaltem Wasser.
    – Du warst wohl ein bißchen ungeschickt, sagt Arzu, und Gül weint noch mehr. Nur weiß sie jetzt nicht mehr, ob vor Freude
     oder vor Schmerz. Oder Verwirrung. Der dritte Preis, sie hat ein Viertellos, das ist so viel Geld, daß sie es sich nicht vorstellen
     kann. Was könnte man damit kaufen? Kleider für ihre Schwestern und Schuhe, daß jeder zwei Paar hätte, die Schokolade, die
     Melike so gern ißt, Bleistifte für Sibel, Papier und Buntstifte und sogar Wasserfarben, Spielzeug für Emin, einen Kreisel
     vielleicht, ein Musikinstrument für Nalan. Und den nachtblauen Stoff, sie könnte den nachtblauen Stoff kaufen, sich ein Kleid
     nähen, und sie könnte sich eine Strickjacke kaufen. Sie könnte ihrem Vater etwas geben und ihrer Mutter und Tante Hülya, und
     es würde immer noch etwas übrigbleiben.
    – Ich habe gewonnen, murmelt sie zwischen ihren Tränen hindurch, doch niemand scheint es zu hören. Sie bringen Gül ins Bett,
     und Tante Hülya schmiert Honig auf ihren Fuß.
    – Das lindert den Schmerz, erklärt sie. Es ist nicht so schlimm, du hast keine Blasen bekommen, bald wird es gar nicht mehr
     weh tun. Du hast Glück gehabt.
    Sie streicht Gül die Haare aus dem Gesicht und lächelt sie an. Auch Gül lächelt. Glück gehabt.
    – Mein braves, großes Mädchen, was für eine Art, ins neue Jahr zu gehen.
    Gül hört das leise Knistern von Papier in ihrem Kopfkissen. |185| Oder bildet sie sich das nur ein? Sie hat das Los ganz klein gefaltet und in ihr Kissen eingenäht. Und seitdem denkt sie täglich
     daran, was passiert, wenn jemand dieses Los findet. Doch wer sollte es schon finden? Ihre Mutter macht nie ihre Betten. Möglicherweise
     könnte Melike dieses Knistern hören und sofort ahnen, daß Gül etwas versteckt hat. Beim Spielen weiß Gül immer die besten
     Verstecke, doch wenn es ernst wird, bekommt sie Angst.
    Viel später, als alle schon schlafen, weint Gül leise in ihr Kissen. Sie kann dieses Los unmöglich jemandem zeigen. Wer würde
     ihr schon glauben, wenn sie erzählt, daß sie es auf der Straße gefunden oder sich selber zusammengespart hat. Und die Wahrheit?
     Wer würde ihr die Wahrheit abnehmen? Niemand. Niemand würde ihr glauben, daß Recep ihr das Los geschenkt hat. Warum hat er
     es ihr geschenkt? Wofür? Wo haben sie sich getroffen? Seit wann trifft sie sich mit ihm? Warum redet sie mit ihm?
    Was soll sie jetzt tun, was soll sie jetzt mit diesem verfluchten Gewinnlos machen? Warum muß Recep ihr auch so etwas

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