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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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einen Arm zum Mond aus, als glaubte er, er könne ihn vom Himmel pflücken. Er reckte sich so hoch und wurde dabei so dünn, als wollte er eins mit dem Wind werden. »He, hübsche Aussicht hast du hier.« Er sah mit zusammengekniffenen Augen auf sie herab. »Wäre dir wohler dabei, wenn ich mich ebenfalls ausziehe?« Er fing an, sich die Hose aufzuknöpfen.
    »Nein!«
    »Oh, schon gut.« Rooster hob die Schultern und knöpfte sich wieder zu. Dann fiel er unvermittelt vor ihr auf die Knie. »Jane, ich habe immer wieder darüber nachgedacht, wie ich dich dazu bringen kann, mich wieder zu mögen.«
    »Ich mag dich, Rooster. Du weißt das.« Jane rückte von ihm ab, und er folgte ihr auf den Knien, so daß die Entfernung zwischen ihnen unverändert blieb.
    »Ja, aber du wirst mir nicht helfen. Du sagst, du willst mir helfen, aber du meinst es nicht so. Ich meine, du weißt, was ich meine?«
    Sie senkte den Blick. »Ja.«
    Roosters Stimme wurde dünn, als würde er etwas Beschämendes eingestehen. Jane mußte sich anstrengen, seine Worte zu verstehen. »Ich habe mir also überlegt, daß wir einander vielleicht unsere wahren Namen sagen sollen.«
    »Wie bitte?«
    »Du weißt schon. Du sagst mir deinen Namen, und ich sage dir meinen. Das bedeutet, man vertraut jemandem wirklich, weil, wenn man deinen wahren Namen weiß, kann man dich so töten!« Er schnippte mit den Fingern.
    »Rooster, ich bin ein Mensch.«
    »Ach ja? Das nehme ich dir nicht übel.« Sein Ausdruck war verletzt, verwundet. Er war ihr nun völlig ausgeliefert, auch ohne daß sie seinen geheimen Namen kannte. Jane verspürte Mitleid mit ihm.
    Sanft sagte sie: »Ich habe keinen wahren Namen.«
    »Mist.« Rooster ging zur äußersten Kante des Dachs und starrte lange, lange Zeit auf den weit unten liegenden Boden. Jane sorgte sich um ihn, zögerte jedoch gleichzeitig, ihn zu rufen, aus Angst, er könnte vor Schreck hinabfallen. Schließlich streckte er die Arme zu beiden Seiten auf volle Länge aus, fuhr herum und stolzierte zu ihr. »Ich werd ihn dir trotzdem sagen.«
    »Rooster, nein!«
    »Er lautet Tetigistus. Das bedeutet Nadel.« Er verschränkte die Arme. Sein Gesicht hatte einen unheimlich friedlichen Ausdruck angenommen, als wären all seine Sorgen und Ängste jäh von ihm abgefallen. Jane merkte, daß sie ihn fast beneidete. »So! Jetzt kannst du alles mit mir tun.«
    »Rooster, ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    »He, du hast mir noch immer nicht gesagt, was du hier oben machst.« Die Hexennuß war bei Roosters erstem Wort herabgefallen. Jane hatte sie die ganze Zeit über fest mit der Faust umklammert. Jetzt löste ihr Rooster die Finger und nahm ihr die Nuß ab. »Ahaa!« Er sah sie durch das Bohrloch an. »Also dafür hast du sie haben wollen. Du lernst, wie man die Namen von Dingen gegen sie verwendet.«
    Jane nickte wie betäubt. »Ja, ich ... ich habe dieses Zauberbuch gefunden, siehst du ...«
    »Ja, stimmt. Ich bin unten an der Mauer draufgetreten.« In Roosters Stimme brannte heftige Freude. »Oh, das ist hervorragend. Das bedeutet, daß alles gegen Blugg gerichtet werden kann! Wir können ihn unter dem Heizkessel zermalmen, geschmolzenes Messing auf ihn herabrufen, ihm die Adern mit Bleikügelchen füllen.«
    »Rooster, weshalb dieser Haß auf Blugg? Gib’s auf! Rache wird dir bei der Flucht nicht helfen.«
    »Oh, mir liegt nichts an Flucht.«
    »Aber du hast gesagt ...«
    »Nur weil du fliehen wolltest. Seit meiner Krankheit, seitdem ich das Auge verloren habe, ist das zweite Gesicht in mir mit jedem Tag stärker geworden. Was soll’s mich kümmern, auf welcher Seite der Fabriktore ich bin? Gleich hier und jetzt kann ich Welten sehen, wie du dir sie nie vorgestellt hast. Dinge, wofür dir die Worte fehlen. Und manchmal habe ich Vorahnungen.« Er runzelte ganz und gar nicht roosterhaft die Stirn und sagte: »Deswegen versuche ich immer wieder, dich zu warnen. Du bist in etwas verwickelt, und je mehr du versuchst, dich zu lösen, desto mehr verstrickst du dich darin.« Dann lachte er, wieder ganz Rooster. »Aber jetzt arbeiten wir zusammen! Zunächst wirst du mir dabei helfen, Blugg umzubringen, und dann werden wir seine Steckkarte klauen, und du kannst frei hinausgehen. Es ist so einfach, daß es geradezu schön ist.«
    Jane war schrecklich zumute. Roosters Pläne waren nicht ihre Pläne. 7332 würde ihr unmöglich gestatten, Rooster bei der Flucht mitzunehmen. Sie spürte die Gegenwart des Drachen sogar jetzt, ein allgegenwärtiges

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