Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick

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in die Rippen. Sie warf einen Blick neben sich und sah, daß Monkey die Seite ihres Notizblocks mit einer sorgfältigen Wiedergabe der Genitalien des Vergleichsobjekts gefüllt hatte. Jane machte ein finsteres Gesicht und schüttelte den Kopf.
    Das hier war ernst, verdammt noch mal!

    Am Ende der Stunde waren Janes Hände verkrampft und schmerzten vom Niederschreiben der Notizen, und Monkeys Zeichnung war umgeben von einem geflochtenen Kranz aus kleineren Penissen in verschiedenen Stadien der Erektion. Die Chirurgin hatte ihr Skalpell niedergelegt und zog sich mit einer ganz leichten Verneigung aus dem Hörsaal zurück. Die Atmosphäre lockerte sich. Die Studenten erhoben sich, plauderten, sammelten ihre Bücher. Das Vergleichsobjekt zog sich das Gewand an. »Oh, hör mal«, sagte Jane. »Bist du mit meinem Shearer’s durch?«
    »Das Anatomiehandbuch?« fragte Monkey leichthin. »Ich hab’s aufgegessen.«
    »Du hast was?«
    »Ich hab’s gegessen. Warum sonst hätte ich es haben wollen? Ich hatte Hunger, und ich hab’s gegessen.«
    »Aber ich brauche es für den Kurs.«
    »Dann hättstes mir nicht geben sollen.« Monkeys Perlenaugen glitzerten merkwürdig bösartig in dem runden Gesicht. »Wirklich, Jane, manchmal bist du schon dämlich.« Mit einem jähen Salto rückwärts aus dem Stand verschwand sie durch die Tür.
    Jane ballte die Hände zur Faust. Aber sie hatte gelernt, nicht mehr als das zu erwarten. Zimmergenossinnen aßen immer wieder ihre Bücher, hatten Panikanfälle, brachten Ratten und fleischfressenden Schleim mit und erwarteten dann, daß man sie fütterte, sie wurden betrunken und erbrachen sich auf ihr bestes Kleid, sie zogen in den Kleiderschrank und weigerten sich am Ende monatelang, herauszukommen, drohten am Abend vor der Abschlußprüfung mit Selbstmord, hinterließen mitten auf dem Fußboden Haufen verrottender Blätter, vergnügten sich mit ihren Freunden in einem fremden Bett, weil es gemacht war und ihres nicht und entwickelten sich zu großen blutsaugenden Insekten. Monkey war wirklich ein waschechtes Exemplar ihrer Art.
    Nun, sie könnte leicht ein neues Handbuch klauen.
    Sie nahm einen Expreßaufzug und fuhr acht Stockwerke hinauf zum Uni-Buchladen. Während des vergangenen Jahrs hatte Jane die Anlage des Ladens ebenso gründlich erforscht wie die Natur und die Anbringungsorte seines Anti-Diebstahl-Systems. Auch wußte sie, wer der Ladenschnüffler war. Vorn an der Kasse war alles dicht, da kam sie nicht durch. Aber hinten im Laden befand sich ein Notausgang, den die Überwachungskameras wegen der überfüllten Regale nicht erfassen konnten. Wenn man ihn öffnete, würde das automatisch Alarm auslösen, aber das dürfte kein allzu großes Problem darstellen.
    Jane nahm sich einen neuen Shearer’s und ging auf indirektem Weg zum Ausgang. Glücklicherweise war sie so schlau gewesen, neulich die rückwärtigen Flure auszukundschaften und das Schloß einer nahegelegenen Tür zum Treppenhaus zu knacken. Sie war sich ziemlich sicher, daß sie bereits eine Kehre tiefer wäre, ehe der Schnüffler die Tür erreichte, und um eine Ecke herum, wenn er an den Stufen wäre. Ein gewisses Risiko ließ sich nicht leugnen, aber es war eine Methode, die sie noch nie angewandt hatte, und sie wollte sie jetzt unbedingt einmal ausprobieren.
    Sie holte tief Luft und legte eine Hand auf die Klinke.
    Ein jähes Gefühl dunklen Unbehagens durchfuhr sie, eine schwere Woge von Übelkeit, die ihr den Magen hob und im Mund einen bitteren Geschmack hinterließ.
    Eiserne Klauen packten sie an der Schulter. »Miß Alderberry.«
    Es war Doktor Nemesis.
    »Ma’am!« Wie vom Blitz geschlagen sah sie hinauf in das Gesicht ihrer Betreuerin. Die Brille der Doktorin saß tief auf der Nase, zwei glänzende Scheiben unter einem quälend schwachen Paar wäßriger rosafarbener Augen. Jane kam sich vor, als würde sie von zwei verschiedenen Wesen angestarrt, von denen das eine bemitleidenswert und das andere angsterregend war.
    »Ich bin Ihre Laborberichte durchgegangen, Miß Alderberry.« Dr. Nemesis hakte sich in Janes Arm ein und führte sie nach vorn. »Sie sind, wenn ich es Ihnen im Vertrauen sagen darf, enttäuschend, äußerst enttäuschend für eine Studentin mit Ihren Voraussetzungen.«
    »Ich habe Schwierigkeiten mit dem Wasser ...«
    »Genau.« Sie schlenderten zum Vordereingang hinaus. Zerstreut bemerkte Jane, daß sie, beschirmt vom magnetischen Feld von Dr. Nemesis’ Rang, mühelos die Sicherheitsanlage umgangen