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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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hatte. Was bei ihr eine genaue Berechnung, Wagemut und Risikobereitschaft erfordert hatte, war ihrer Betreuerin gelungen, ohne daß es auch nur aufgefallen wäre.
    Sie dirigierte Jane zu einem Fakultätsaufzug und schloß die Sperren auf. Innendrin war es eng wie in einer Sardinenbüchse. Die Walnußpaneele waren glatt wie Glas poliert. Die Türen schlossen sich geräuschlos. Schweigend fuhren sie hinab. Jane erkannte schwach ihr Spiegelbild im Holz. Das Abbild ihrer Betreuerin ragte bedrohlich wie eine Gewitterwolke neben ihr auf.
    »Ihnen ist doch gewiß klar, weshalb ich mir Sorgen um Sie mache.«
    »Nun ...« Jane war es nicht wirklich klar, aber dieser zweifache funkelnde Blick, der sich in den ihren bohrte, wartete auf eine intelligente Erwiderung. »Ich bin hier aufgrund eines Leistungsstipendiums, also nehme ich an ...«
    »Nein!« Dr. Nemesis stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. Wie als Antwort glitten die Aufzugstüren auseinander. Sie steuerte Jane nach draußen. Sie befanden sich jetzt auf einer Büroebene. An den Wänden hingen große ungerahmte Ölgemälde von Regenschirmen und Rindfleischhälften. Die Läufer auf den Korridorböden rochen neu. »Ich rede nicht bloß von Geld, sondern auch von Ihrem nackten Überleben ! Dies ist ein Zehent-Jahr, das wissen Sie doch bestimmt.« Jane nickte und meinte nein. »Die Fakultätsleiter sind zur Zeit dabei, eine Liste jener zehn Prozent Studenten zusammenzustellen, die ... entbehrlich sind. Ihr Name, Miß Alderberry, wird auf dieser Liste stehen, wenn Sie sich nicht aufrichten und die richtige Richtung einschlagen.« Sie funkelte Jane kurzsichtig und streng an.
    »Irgendwas kriege ich nicht richtig mit«, sagte Jane rasch. »Es ist bestimmt etwas Elementares, etwas Grundlegendes. Wenn ich es nur verstehen könnte, wenn ich nur sehen könnte, was es ist, könnte ich bestimmt mithalten.«
    »Ich habe den Eindruck, es wäre Ihnen eine Hilfe, Miß Alderberry, wenn ich Ihnen gegenüber zugäbe, daß ich selbst einstmals eine mittelmäßige Forscherin gewesen bin. O ja. Selbst ich.« Dr. Nemesis lächelte eitel. »Faul, wirr, überheblich - alle Tugenden, die ein Forschungsassistent haben sollte, fehlten mir.«
    »Ich habe mich gefragt, ob es vielleicht das pontische Wasser sein könnte ...«
    »Ein bestimmter Vorfall hat dazu geführt, daß ich mich aufgerichtet habe. Mein Professor, kein anderer als der Zauberer Bongay selbst, denken Sie nur, hatte eine große Summe von der Horned-Man-Foundation erhalten. Er sollte eine prophetische Maschine in Gestalt eines Messingkopfs erschaffen. Das war, Sie werden verstehen, sehr früh in der Geschichte der Kybernetik. Damals machte man alles mit Vakuumröhren.«
    »Es kann nicht an meiner Technik gelegen haben. Ich war immer sehr vorsichtig.«
    »Wir hatten einen ungenutzten Handballplatz übernommen und statteten ihn mit unserer Ausrüstung aus. Dort verbrachten wir den größten Teil eines Jahres, flirteten mit dem Ruhm und errangen ihn niemals. Im letzten Monat - die Stiftung sah harte Strafen für einen Fehlschlag vor - zogen wir buchstäblich ins Labor. Drei Wochen lang bauten wir, rissen ab und bauten diese Ungeheuerlichkeit wieder auf. Die ganze Nacht hindurch, jede Nacht, und weit bis in den Morgen hinein. Wir schliefen auf Pritschen und lebten von Fast-Food, aßen kalten Pizza zum Frühstück, Frühlingsrollen und Schoko-Doughnuts um Mitternacht. Ich habe vergessen, wie oft wir die Kreatur gebootet haben, wie oft wir sie dazu bringen wollten, daß sie die Augen öffnete, wie oft wir sie durch Schmeicheleien dazu veranlassen wollten, den Mund zu bewegen, aber es hatte alles keinen Zweck. Sie wollte nicht reden.
    Nach einem besonders erschöpfenden Fehlschlag verkündete Bongay, er benötige dringend Schlaf, und stolperte zu seiner Pritsche. Ich mußte jedoch Wache halten und war ernstlich ermahnt worden, den Kopf zu beobachten und Bongay sofort zu wecken, falls er lebendig würde.
    Ich selbst war todmüde und nicht mehr richtig da, aber ich blieb auf und lötete einige Schaltkreise wieder an. Vakuumröhren waren heikle Dinger. Sie wären überrascht davon, wie oft man ein Problem einfach dadurch lösen kann, daß man einen nachweislich vollständigen Schaltkreis herausriß und ihn durch sein Zwillingsstück ersetzte.
    Keine halbe Stunde später schlug der Kopf die Augen auf.
    Zeit ist , sagte er.
    Ich setzte meinen Lötkolben ab. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich war mir nicht sicher, ob er wirklich

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