Die Tochter des Teufels
sei sie wieder siebzehn Jahre, die Musik spielte zum Neujahrsball in Zarskoje Selo und der Gardehauptmann Gurjew nähme ihren Fächer und schrieb für alle Tänze dieser Nacht seinen Namen quer darüber.
Nikolai …
Starr stand Nadja da, als der Fremde sich verbeugte, ihre plötzlich kalte Hand an die Lippen führte und ihr die Rosen überreichte. Ein Diener neben ihr hatte den Namen genannt – Nadja hörte ihn wie ein fernes Rauschen. Sie fühlte, wie man ihr den Strauß wieder abnahm und zu den anderen Blumen und Vasen brachte, wie der Fremde, der aussah wie Nikolai, dessen Stimme den Klang von Nikolais Stimme hatte, einige Worte zu ihr sagte und dann wartete, daß sie antworte.
»Ich freue mich, Monsieur«, sagte sie mühsam und wunderte sich, daß ihre Stimme einen Klang hatte. »Ihre Rosen sind wunderbar.«
»Sie verblassen vor Ihnen, Madame. Und sie werden morgen verwelkt sein, weil nichts neben Ihnen bestehen kann.«
Aus der Bibliothek, die man ausgeräumt und in einen Tanzsaal verwandelt hatte, tönten die Klänge eines kleinen Streichorchesters. Ein Walzer war es, der erste Tanz an diesem Abend.
»Madame«, sagte der fremde Gast und verbeugte sich. »Ich nehme das Glück wahr, als erster vor Ihnen zu stehen und Sie um diesen Walzer zu bitten.«
Nadja nickte stumm, legte die Hand auf den Arm des Fremden und tanzte mit ihm aus dem Salon hinüber in die leere Bibliothek. Sie sah nicht, wie Gabriel, der diesen ersten Walzer mit ihr tanzen wollte, auf sie zugekommen war und nun stehenblieb, ein wenig ratlos und verlegen. Er zuckte zusammen, als Cassinis Lachen hinter seinem Rücken erklang. Fröhlich, getragen von einem hämischen Triumph.
»Unser guter René Stanislas«, sagte er. »Ein guter Tänzer, ein reicher Mann, ein Junggeselle, ein Herzensbrecher und fünfzehn Jahre jünger als wir, Gabriel! Mit so etwas muß man rechnen! Soll ich den Diener mit einem Cognac schicken?«
Gabriel drehte sich langsam um. Sein Blick war hart und kalt. »Mit der Morgenpost werden Sie ein Schreiben von mir bekommen, Cassini«, sagte er scharf. »Meine Bank kündigt Ihnen die Beteiligung an der Erschließung Nordalgeriens. Ich weiß, daß Sie aufgrund meiner damaligen Zusage schon dreißig Millionen investiert haben.«
Cassini lächelte böse. »Angenommen, Gabriel! Sie wollen mich kaputtmachen! Aber ich habe die Kanonen auch geladen.«
»Bitte! Feuern Sie sie ab!«
»Nicht heute! Der Abend verspricht zu amüsant zu werden, um ihn mit Geschäften zu belasten.« Er blickte zur Bibliothek, wo Nadja und René Stanislas gerade an der breiten Tür vorübertanzten, ein schwebendes, wie miteinander verwachsenes Paar, sich wiegend im Takt der Musik. Auch Gabriel sah sie. Seine Lippen zuckten unmerklich. »Warum soll ich mit Granaten schießen«, sprach Cassini weiter, »wenn in ein paar Tagen oder Wochen Erbsen genügen, um Sie umzufegen, Gabriel. Ich bedaure Sie … an dieser Frau werden Sie zerbrechen!«
Gabriel kniff die Lippen zusammen, wandte sich ab und ging zur Bar, wo der alte General Carnot mit Gläsern und Flaschen die Marneschlacht erklärte, sein Lieblingsthema.
Die Kapelle machte eine kurze Pause, aber Stanislas ließ seinen Arm auf Nadjas Rücken liegen und wartete auf den zweiten Tanz. Das war unhöflich gegenüber den anderen Herren, die auch auf einen Tanz mit Nadja hofften, aber er kümmerte sich nicht darum und lachte jungenhaft, als ein Foxtrott begann und keiner ihm Nadja weggenommen hatte.
»Ich kann Sie mir vorstellen, Madame«, sagte er, als Nadja auch diesen Tanz stumm absolvierte, stumm aus Angst, ihre Stimme könne zittern und die Seligkeit verraten, die seit Minuten durch sie rann wie ein süßes Gift, »wie Sie im Schloß des Zaren, unter den Augen von Alexandra Feodorowna, mit den Offizieren in ihren glänzenden Uniformen tanzten. Sie müssen, wo Sie auftraten, wie eine Sonne gewirkt haben.«
Nadja durchzog ein heißes Flimmern. »Was wissen Sie von Petersburg?« fragte sie leise. »Wieso habe ich am Hof …«
»Mein Großvater kam aus Rußland nach Frankreich. Mein Vater war schon Franzose, ich bin ein glühender französischer Patriot. Aber die Bindung zu Rußland riß nie ab. Tanten und Onkel leben noch auf ihren Gütern, das heißt, jetzt sind sie Emigranten wie Sie. Ich habe immer ein Ohr für den Osten gehabt, und eine Tante schrieb mir aus Petersburg, daß im Zarenschloß ein bezauberndes Mädchen lebe, eine Tochter Rasputins, was man gar nicht begreifen könne, denn ein Wunder
Weitere Kostenlose Bücher