Die Tochter des Teufels
sagen?« fragte Nadja.
»Ich werde Mühe haben, den alten Knaben von einem neuen Frühling fernzuhalten!« Stanislas lachte leise und zog Nadja an sich. »Es gibt keinen Mann, gleich welchen Alters, der dir nicht zu Füßen liegen würde!«
»Ich bin eine Tänzerin vom Moulin Rouge! Ein Tingeltangelmädchen! Deine Familie wird entsetzt sein!«
»Ich heirate nicht die Moral meiner Familie, sondern dich.«
»Ich bin arm!«
»Das ist das Zweitschönste an dir.«
»Ich bringe ein Kind mit.«
»Es wird mein Kind sein … unser Kind.«
»Ich war für eine Nacht die Geliebte Cassinis und Gabriels. Weißt du das?« Sie war ernst geworden und begann ihre Haare aufzustecken und die Haarnadeln aus dem Gras zu sammeln. »Man wird das überall erzählen, auch deinem Vater … die Frau René Stanislas' lag schon in anderen Betten …«
Stanislas zündete sich mit bebenden Fingern eine Zigarette an. »Warum bist du so grausam, Nadja?« fragte er leise.
»Du sollst wissen, wen du heiraten willst! Ich bin alles, was eine Frau nicht sein darf, die einen Mann wie dich heiratet: Emigrantin, Tänzerin, Geliebte anderer Männer, arm, mit Kind, eine Frau, die sich jede Nacht zweimal vor Hunderten von Augen ausstellte, um Geld damit zu verdienen … Was früher war, drüben in Rußland? Wer fragt danach? Bin ich jemals im Zarenschloß erzogen worden? War ich die Freundin der Großfürstinnen? Liebte mich die Zarin wie ihre eigenen Töchter? Hatte ich Hauslehrer, machte ich Hofbälle mit, war ich die Frau eines Gardeoffiziers des Zaren? War mein Vater der mächtige Rasputin?« Sie trat zwei Schritte zurück und senkte den Kopf. »Sieh mich an, René … sieht man das alles noch? War das nicht alles ein Märchen? Von Zarskoje Selo zum Tingeltangel … gibt es überhaupt einen solchen Weg? Ist nicht alles gelogen? Bin ich nicht ein billiges Animiermädchen und weiter nichts? Und so etwas will der Reeder Stanislas heiraten?«
»Du bist für mich die einzige Frau, die ich mit ganzer Seele liebe, und die erste Frau, zu der ich sagte, daß ich sie heiraten will! Alles andere werfe ich von mir!«
»Und das Gerede der Leute?«
»In unserem Haus im Bois, in dem großen Park, haben wir eine eigene Welt! Und jeden, der in diese Welt eindringen will, vernichte ich!« Stanislas warf die Zigarette weg und zertrat sie im weichen Grasboden. »Ab morgen werden die Handwerker im Haus sein. Drei Wochen gebe ich ihnen … dann nehme ich dich auf meine Anne und trage dich in unser Paradies.«
»In drei Wochen?« Nadja wandte sich ab und sah hinüber zum Louvre und zu den Kaskaden des runden Brunnens. »Und Gabriel? Wir haben an Gabriel nicht gedacht.«
»Ich werde mit ihm sprechen.«
»Und du glaubst, er hört dich an?«
»Wenn er ein Ehrenmann ist …«
»Er wird dir vorwerfen, kein Ehrenmann zu sein.«
»Gabriel wird sich überzeugen lassen müssen, daß Liebe stärker ist als Dankbarkeit. Du hättest Gabriel geheiratet?«
»Ja«, sagte Nadja leise mit abgewandtem Blick.
»Und dann?«
»Auch daran gewöhnt man sich, eine Puppe auf einem goldenen Sofa zu sein.«
»Und dein Herz?«
»Das Herz! Mein Herz war Helena. Ich gebe alles für sie.«
»Es wird sich alles ändern.« Stanislas zog Nadja an den Schultern zu sich; hintereinander standen sie dann, seine Hände lagen auf ihren Brüsten, und sie fand das ganz natürlich, denn sie gehörte ihm voll und ganz.
»Komm zu mir …«, sagte sie klar und unbefangen. »Avenue de New York, Ecke Place de l'Alma. Morgen abend …«
Er nickte, legte sein Gesicht auf ihre Schulter und genoß den Schmerz der Seligkeit.
Erst gegen Abend verließen sie die Gärten der Tuilerien. Umarmt, aneinandergedrückt, so eng, daß sie sich beim Gehen behinderten, gingen sie im Strom der anderen Passanten die große Promenade hinunter, um den achteckigen Teich herum und durch das Gittertor hinaus auf die Place de la Concorde.
Am Ende der Champs-Elysées glänzte der Arc de Triomphe in der untergehenden Sonne. Da blieben sie stehen, sahen stumm auf diese Schönheit und küßten sich. Die anderen Menschen waren ihnen gleichgültig, aber auch die anderen Menschen beachteten sie nicht. Ein Kuß in Paris gehört zum Leben wie ein Atemzug.
»Wie schön ist das Leben!« sagte Nadja leise. »O Gott, ich sehe wieder, wie schön es ist …«
Und das war ein Ausruf, mit dem die letzte Bindung zur Vergangenheit von ihr abfiel wie durchschnittene Fesseln.
Nadja kehrte nicht mehr in die Wohnung Gabriels an der Avenue Foch
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