Die Tochter des Teufels
seinem Bett?« Saparin umklammerte den Löffel. »Taxifahren, das ist ehrliche Arbeit! Wenn es da kracht, ist's nur ein Blechschaden und kostet nicht den Kopf. Und zweihundert Francs am Tag kannst du auch verdienen. Du bestimmt!«
»Hör damit auf, Boris Michailowitsch. Ich liebe Frank …«
»Das habe ich befürchtet!« Saparin warf den Löffel weg, nahm den unschuldigen kleinen Stofflöwen und schleuderte ihn gegen die Wand. »Ist das ein Leben!« brüllte er. »So friedlich könnte man leben! So gut könnte es einem gehen! Und da kommt so ein Löwenbändiger und verdreht ihr den Kopf!«
»Was nützt das Brüllen, Boris? Ich habe mich verliebt.« Ihre Augen bekamen einen milden Glanz. »Zum erstenmal ist es anders …«
»Schwänchen … das sagst du immer.«
»Zum erstenmal sehe ich in einem anderen Mann nicht ein Abbild von Nikolai. Zum erstenmal bin ich frei von der Erinnerung an ihn. Frank ist ganz anders als Nikolai … er ist blond, hat blaue Augen und ist ein Deutscher.«
»Ein Deutscher! Welche Schande!« schrie Saparin.
»Ein ganz neues Bild kommt in meine Seele … sein Bild. Soll ich nur leben mit der Erinnerung an einen Toten? Nikolai … das war bisher ein Himmel, der nie verlosch, und in diesem Himmel lebte auch Stanislas. Aber jetzt …«, Nadja breitete die Arme aus, »jetzt betrete ich einen neuen Himmel …«
»Du hast schon mit ihm geschlafen?« fragte Saparin düster.
»Nein! Aber ich werde es heute nacht tun.«
»Nadja!« Saparin schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Wie können Löwen einen Menschen so verändern!«
»Was verstehst du davon, Boris Michailowitsch. Du bist verheiratet mit deinen Autos.«
»Bleibt mir etwas anderes übrig?« schrie Saparin, warf die Arme wieder empor, drehte sich um und rannte aus der Wohnung.
Der Morgen dämmerte durch das kleine verhangene Fenster des Wohnwagens. Es war heiß in dem engen Raum.
Nebeneinander lagen sie, rauchten und starrten an die weißlackierte gewölbte Holzdecke des Wagens. Sie lagen nackt auf dem Klappbett, eng aneinandergedrückt, die Beine ineinander verschlungen. In der fahlen Dunkelheit glimmten nur die Punkte ihrer Zigaretten.
»Woran denkst du?« fragte sie. Ihren Kopf rieb sie an seiner Schulter.
»An uns.«
»Gibt es da noch Gedanken?«
»Viele …«
»Gedanken machen traurig.«
»Nicht denken ist Selbstbetrug.«
»Laß uns uns betrügen … es lebt sich schöner.«
»Und im März?«
»Was ist im März?«
»Im März verlassen wir das Winterquartier. Wir werden verschifft.«
»Verschifft? Wohin?«
»Nach Amerika. Zwei Jahre werden wir kreuz und quer durch Amerika ziehen.«
»Bis März ist noch lang …«
»Es ist schrecklich, zu denken, was im März sein wird.«
»Du sollst nicht denken. Küß mich.«
Er setzte sich auf und blickte auf ihren schönen Körper hinab. Seine Hände glitten über ihren Leib, über die Brüste, über die Schultern. Sie zitterte unter seinen Liebkosungen und seufzte leise.
»Ich fahre nicht ohne dich«, sagte er heiser. »Bei Gott, ich bleibe in Paris. Ich suche mir einen anderen Beruf …«
»Ohne Löwen kannst du nicht leben.«
»Ohne dich auch nicht, Nadja!«
»Und wenn ich mitkomme?«
»Nadja!« Er schrie es fast. »Nadja! Weißt du, was du da sagst?«
»Ich weiß es genau.« Ihr Gesicht lag unter den aufgelösten Haaren wie unter einem Schleier. »Bring mir bei, wie man Löwen dressiert. Fünf Monate Zeit haben wir noch. Ob ich es bis dahin begreife?«
»O sicher, sicher, Nadja, mit deinem Blick … Und Helena?«
»Ich nehme sie mit. Die ganze Welt wird sie sehen … gibt es eine schönere Freiheit?«
»Das … das willst du tun, Nadja?«
»Ja. Ich liebe dich doch, Frank.« Sie schob ihre Haare vom Gesicht, und wahrhaftig, ihre Augen leuchteten in der Dunkelheit. »Es ist mein Schicksal, Grenzen und Weiten überwinden zu müssen, um zu lieben. Und ich liebe dich … ich liebe dich … du verfluchter deutscher Barbar …«
Der Morgen dämmerte über Paris. Auf dem Zirkusgelände erwachte der Alltag. In dem engen Wohnwagen Nr. 28 schliefen sie noch, Körper an Körper, sich die Hände haltend. Sie lächelten im Schlaf und atmeten tief und ruhig. Sie träumten von Amerika.
16
Boris Michailowitsch Saparin war verzweifelt.
Das drückte sich in drei Unfällen aus, die er mit seinem Auto verursachte, dumme Unfälle, aus Unachtsamkeit, und die Polizei drohte, ihm die Konzession als Taxifahrer zu entziehen, wenn sich das wiederholte.
Ursache war der Entschluß
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