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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dunkelmähnige Löwe peitschte mit seinem Schweif den Manegensand. Und dann – ein vielstimmiger Schrei gellte durch die Halle – schnellte er hoch, sekundenlang flog sein hellbrauner Körper langgestreckt durch die Luft, die Vorder- und die Hintertatzen weit weggespreizt. Nadja umfaßte Helena und drückte sie entsetzt an sich … und dann war er über den ruhig dastehenden Castor hinweggesprungen, zentimeterbreit nur über den Tropenhelm. Hinter Castor landete er auf einem Podest, wo er sich hinhockte und triumphierend brüllte.
    Die Lähmung wich. Beifall und Jubel ließen die Halle erzittern. Und der Sprecher sagte: »Das war eine einmalige Dressurleistung. Ein von der Erde aufspringender Löwe greift sonst immer, seiner Natur entsprechend, das Wild an! Mit dieser Dressur spielt Frank Castor jeden Tag mit seinem Leben …«
    »Das ist ein mutiger Onkel, nicht wahr, Mamuschka?« sagte die kleine Helena, ganz heiser vor Aufregung.
    »Ja. Er ist ein mutiger Mann«, bestätigte Nadja und nickte.
    Nach der Vorstellung besichtigten sie den Tierpark des Zirkus Orlando. Helena fütterte Kamele und Pferde, bewunderte Eisbären und gab Elefanten Büschel aus Gras, sah zum erstenmal ein Nilpferd.
    Vor den Käfigwagen der Löwen blieben sie am längsten stehen. Helena konnte sich nicht von ihnen trennen … sie klammerte sich an das halbhohe Gitter, das zwei Meter vor den Wagen angebracht war, um die Besucher außer Gefahr zu halten, und sprach mit ihnen.
    »Braver Ali …«, sagte sie. »Du darfst nicht so laut brüllen, Simba … Warum stößt du Mahmud zur Seite, he, Ali?«
    Sie hatte die Namen behalten, die Castor in der Manege gerufen hatte, und sie war glücklich, mit den Löwen sprechen zu können.
    »Ein nettes Mädchen«, sagte eine Männerstimme hinter Nadja. »Sie unterhält sich mit den Löwen wie mit ihren Teddybären …«
    Nadja drehte den Kopf herum und erkannte den Sprecher sofort. Er trug nun keine weiße Uniform und keinen Tropenhelm mehr, sondern einen braunen, gestreiften Anzug.
    »Sie haben die Löwen fabelhaft dressiert«, sagte Nadja. Er hat ja blaue Augen, dachte sie. Und helle blonde Haare. Und wenn er lacht, ist er wie ein großer Junge, und sein Gesicht kann leuchten. Nie würde man glauben, daß so viel Mut in ihm ist. »Aber als er Sie ansprang, habe ich gezittert …«
    »Sie saßen in der ersten Reihe, nicht wahr, Madame?« fragte Castor.
    »Ja.«
    Castor trat neben Nadja. »Ich habe Sie genau gesehen, Madame. Und ich habe – fast mit Erschrecken – gedacht: Ihre Augen können ja leuchten wie die meiner Löwen. Bei Gott, Sie haben Raubtieraugen. Lassen Sie sehen … haben Sie wirklich solche Augen, oder lag es nur am Scheinwerferlicht?«
    Er beugte sich vor, und Nadja sah ihn voll an. Sie lächelte dabei, und die goldenen Punkte in ihren Augen tanzten wieder. Frank Castor nickte.
    »Hypnotische Augen, wirklich!« sagte er.
    »Von meinem Vater.«
    »Und wer war Ihr Vater?«
    »Rasputin.«
    Da lachte Castor laut und bog sich zurück. Er betrachtete das als einen guten Witz. Nadja war ernst geworden und wartete, bis er still war. Dann sagte sie hart:
    »Es stimmt! Warum lachen Sie?«
    »Wenn einem eine bezaubernde junge Dame sagt, sie sei … also wirklich, wer soll da nicht lachen? Gut, Sie sind Russin, ich höre es an Ihrem Akzent, aber Rasputin …«
    »Und wo kommen Sie her? Sie sprechen auch kein reines Französisch.«
    »Ich bin Deutscher.«
    »Deutscher …«
    »Sie sagen es, als hätten Sie Schmierseife gegessen.«
    »Ich mag die Deutschen nicht.«
    »Warum?«
    »Sie sind arrogant, großsprecherisch, neidisch, hinterlistig und immer bereit, Kriege zu führen und zu töten.«
    »Man hat Ihnen diese Meinung von Kindesbeinen an eingeimpft, stimmt's? Kennen Sie Deutschland überhaupt? Hatten Sie denn jemals deutsche Freunde?«
    »Nein! Was sie aus Rußland gemacht haben, genügt mir.«
    Frank Castor war ernst geworden. »Ich möchte Ihnen ein anderes Bild von uns geben, Madame«, sagte er. »Denkt Ihr Mann auch so?«
    »Ich habe keinen Mann mehr.«
    »O Verzeihung.« Castor nagte an seiner Unterlippe. Nadja hatte sich wieder umgedreht, und er sah ihr jetzt in den Nacken und auf die aufgesteckten schwarzen Haare mit dem merkwürdigen bronzenen Schimmer. »Haben Sie Zeit, mich morgen bei der Probe zu besuchen?« fragte er leise.
    »Zeit ja, aber kein Interesse.«
    »Um elf Uhr bin ich im Zentralkäfig. Ich werde an der Kasse sagen, man soll Sie durchlassen.« Castor beugte sich etwas vor.

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