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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ihm gegenüber auf der anderen Seite des Decks, dort, wo die Käfigwagen waren und der zersplitterte Käfig Alis. Sie hatte einen Stuhl in der Hand, die Lehne in den Fingern, und hielt die vier Stuhlbeine wie vier Lanzen vor sich. Das beste Mittel gegen Raubtiere, das hatte sie von Frank gelernt. Ein Stuhl mit vier starren Beinen, das ist eine Waffe, wenn dahinter Mut steht.
    Ali, groß, mächtig, schlank, stand ruhig mitten auf dem Deck. Sein Schweif mit der buschigen Quaste peitschte den nassen Plankenboden. Er starrte Nadja feindselig an, wandte dann den Kopf zur Seite, sah aufs Meer und brüllte verhalten. Dann leckte er über seine Schnauze, schüttelte den Kopf und kratzte mit den tödlichen Pranken über den Boden.
    »Komm hier her, Ali …«, sagte Nadja ruhig. Aufrecht ging sie auf den Löwen zu, den Stuhl vorgestreckt, die vier Beine wie Stacheln. »Hierher, Ali. Komm! Allez, mein Junge … geh auf Platz … auf Platz, Ali …« Die Manegenkommandos. Der Wille des Stärkeren, dem man gehorchen muß. Aber Ali rührte sich nicht. Nur sein Schweif peitschte die Bretter, und seine kalten grünen Augen starrten Nadja an.
    Komm, Mensch, hieß dieser Blick. Wage dich heran, kleiner Mensch. Noch fünf Meter … noch vier … noch drei … dann bist du in meiner Sprunggrenze. Zitterst du? Hast du Angst? Ich sehe jede Bewegung von dir, jedes Zögern, jede Unsicherheit.
    »Bleib stehen!« schrie in diesem Augenblick Saparin. »Nicht weiter, Nadja!«
    Der Löwe Ali duckte sich und wirbelte herum. Sein Brüllen war furchterregend. Blutrot leuchtete sein Maul. Die freie Hand Nadjas fuhr hoch in die Luft.
    »Boris!« schrie sie. »Zurück! Mein Gott! Er wird gehorchen! Was machst du hier?«
    »Ich bin beim Zirkus.« Saparin hob wie um Verzeihung bittend die Schultern. »Du hast doch nicht angenommen, daß ich dich allein nach Amerika fahren lasse …«
    »O Boris, Boris.« Nadja umklammerte die Stuhllehne. »Du Dummer, Lieber! Man sollte dich verprügeln …«
    »Der Löwe, Nadjuscha! Erst der Löwe! Dann verprügle mich. Ich habe es schon mitgebracht!« Er hob den Schrubber hoch.
    Nadja winkte ihm. »Wirf ihn mir zu!« rief sie. »Kannst du so weit werfen?«
    »Ich versuche es!« Er warf den Schrubber über Ali hinweg zu Nadja, und er fiel kurz vor ihren Füßen auf die Planken. Der Löwe brüllte wieder und wandte sich zu Nadja zurück. Sie hatte den Schrubber aufgenommen und besaß nun zwei Waffen. Den Stuhl und den Stiel mit dem borstigen Querteil.
    »Ali! Hierher!« Nadjas Stimme war kalt und scharf. Mit dem Stuhl in der Hand ging sie weiter vor. Ihr Blick hielt Ali fest … gnadenlos und kalt. Und Ali sprang nicht … er blieb sitzen und schlug nur mit mächtigen Prankenhieben gegen die Stuhlbeine, die ihn bedrängten.
    »Los, Ali!« sagte Nadja hart. »Willst du wohl? Zurück, zurück!« Sie stieß die Stuhlbeine gegen seine breite Brust und gegen die zuckende Nase. Noch einmal wehrte sich Ali … er biß in eins der Stuhlbeine und zermalmte es zwischen seinen Zähnen. Da schlug Nadja mit dem Schrubber zu, traf ihn zwischen die Augen und schabte mit den Borsten über Alis Gesicht.
    Das brach den Widerstand. Knurrend drehte sich Ali um, ging an Nadja vorbei zu den Käfigwagen und blieb vor seinem zertrümmerten Käfig stehen. Nadja folgte ihm, warf den Riegel eines leeren Käfigs in Wagen 3, der am nächsten stand, herum, stieß das Gitter auf und zeigte hinein.
    »Allez, Ali!« sagte sie kurz. »Hopp, mein Junge!«
    Der mächtige Löwe sah sich um. Traurig waren seine Augen, er öffnete das Maul und ließ einen klagenden Ton hören. Dann sprang er in den Käfig. Nadja verriegelte die Tür, ließ das Schloß zuschnappen und warf Stuhl und Schrubber von sich. Erschöpft lehnte sie sich an das Gitter und sah auf das Raubtier.
    »Warum hast du das getan, Ali?« fragte sie. »Du liebst mich doch …«
    Und der Löwe drehte sich zur Wand, legte den Kopf zwischen die Tatzen und benahm sich so wie einer, der sich schämt.
    An einem sonnigen Apriltag sahen sie New York. Auf der Fackel der Freiheitsstatue lag glänzend die Sonne, und die Silhouette von Manhattan war so atemberaubend, daß Nadja, Frank Castor und Saparin an der Reling lehnten und sich stumm an den Händen hielten wie Kinder, die zum erstenmal einen Weihnachtsengel sehen.
    »Die neue Heimat«, sagte Frank Castor leise.
    »Ich freue mich auf Amerika«, sagte Nadja. Aber nur Saparin hörte den Unterton heraus, die stille Klage, die Angst vor dem Kommenden. Er

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