Die Tochter des Teufels
hatte alte Ratschläge befolgt und Rum getrunken und Sahne gegessen. Der Zirkusarzt hatte ihm Pillen und Tabletten gegeben – was half das alles? Mit wässerigen Augen und grünlichem Gesicht lag er in seiner Kabine auf dem Bett, würgte und verkrampfte sich, stürzte zum Toilettenkabinett und übergab sich, bis nur noch grüne Galle kam.
Nadja blieb an Franks Bett sitzen und war immer um ihn, sooft sie es konnte. Die Löwen fütterte sie selbst. Sie waren aufgeregt und böse. Das Schaukeln des Schiffes machte ihnen angst, die fremde Umgebung, der Salzgeruch, das Möwengeschrei, die Untätigkeit, das Leben in den engen Käfigwagen. Vor allem Ali war beleidigt. Er fraß seine großen Pferdefleischportionen, zerknackte die dicken Knochen wie Streichhölzer, aber wenn Nadja nahe an die Gitter kam und ihn streicheln wollte, leuchteten seine grünen Augen böse auf, und die Krallen schoben sich aus den Tatzen.
Dreitausendfünfhundert Seemeilen von Le Havre bis New York. Das ist ein langer Weg mit einem alten Frachter. Nadja sprach darüber mit dem Kapitän, und der hatte Verständnis für ihre Sorgen.
»Wir kommen bald in bessere Wetterlagen«, sagte er. »Dann können Sie einen Übungskäfig auf dem B-Deck aufbauen und Ihre Löwen täglich trainieren. Keiner von uns hat ein Interesse daran, daß ein so hübsches Mädchen aufgefressen wird …«
Aber noch tobte die See, und es wurde immer ärger. Das Schiff schlingerte von einer Seite zur anderen, Brecher krachten über das Vorschiff, die Nieten ächzten in den Schiffswänden. Im Bunker IV waren die Elefanten nicht zu beruhigen. Der Zirkusarzt gab ihnen ein Beruhigungsmittel ins Wasser, aber es nützte kaum.
Am achten Tag der Überfahrt erfaßte ein Brecher von der Seite das A-Deck. Donnernd überrollte er die Aufbauten, krachte auf die Käfigwagen der Löwen und schoß auf der anderen Seite wieder zurück ins Meer. Für das Schiff war es eine harmlose Woge, aber für die Löwen war sie verheerend gewesen. Die Seitenwand des Wagens I war eingedrückt worden, und dort in seinem Käfig hatte sich Ali geduckt, das Wasser erduldet und dann in ungeheurer Wut aufgebrüllt. Mit seinem schweren Körper sprang er gegen das eingedrückte Holz, das Holz splitterte vor ihm weg, und er setzte mit einem eleganten Sprung auf das nasse Deck.
Der erste, der den freien Löwen sah, war der Koch. »Alarm!« schrie er und stürzte ans Bordtelefon. »Alarm an alle! Die Löwen sind los!«
Ein solcher Ruf wirkt Wunder. Überall in den Mannschaftskojen und den Bunkern klingelten die Alarmglocken, Matrosen rannten, mit Gewehren bewaffnet, zum Sammelplatz an der Kommandobrücke, die Maschinen wurden auf halbe Fahrt zurückgeschaltet. Durch die Kabinengänge rannten die Stewards. »Alle in den Kabinen bleiben!« schrien sie. »Die Türen verriegeln! Die Fenster bitte zu. Die Löwen sind los …«
Frank Castor lag in tiefem Schlaf und hörte nichts. Er war zu Tode erschöpft. Der Boß war der einzige, der dem Befehl nicht folgte. Er rannte aus seiner Kabine, eine Pistole in der Hand, und fand auch gleich den Weg zum A-Deck. Vom Kabinenausgang konnte er die Käfigwagen sehen … die Löwen waren noch alle hinter Gittern, nur der Wagen 1 war aufgerissen und Ali in Freiheit.
»O Gott!« sagte der Boß und setzte sich auf die Treppenstufen des Kabinenausstiegs. »Ausgerechnet Ali!« Er lud die Pistole durch und begab sich mutig auf Deck.
Auch Saparin war an Deck gekommen, als er in seinem Pferdebunker hörte, was oben geschehen war. Er dachte nur an Nadja und raste die eisernen Treppen hinauf bis zur Luke. Frank Castor ist seekrank, das wußte er, wie er alles wußte, was auf dem A-Deck vorging. Er hatte einem Matrosen gleich bei der Abfahrt von Le Havre zweihundertfünfzig Francs geschenkt und erfuhr nun jeden Tag das Neueste vom Löwendeck, wie das A-Deck bald auf dem Schiff hieß.
Tobendes Meer und heulender Wind umgaben ihn, als er die Luke aufstemmte und ins Freie kroch. Er warf die eiserne Ausstiegstür gleich wieder zu und ergriff das, was er gerade in seiner Nähe sah. Es war ein Schrubber, mit dem die Leichtmatrosen an schönen Tagen die Decks reinigten. So bewaffnet schlich er sich weiter und achtete nicht auf die Zurufe von der Kommandobrücke, wo der Kapitän, zwei Offiziere und vier Matrosen, alle mit Gewehren, auf das Löwendeck starrten und Saparin zuwinkten, zurückzugehen.
Was Saparin sah, als er um die Entlüftungsanlage herumging, ließ ihm den Atem stocken.
Nadja stand
Weitere Kostenlose Bücher