Die Tochter des Teufels
silbernen Knauf seines Stockes. »Das ist doch nichts Politisches, Monsieur«, sagte er abweisend. »Das ist eine ganz gewöhnliche kriminelle Sache! Ein Unglück, wenn Sie so wollen!«
»Ich bin am Ende!« Der Boß lehnte den Kopf gegen die Holzwand seines Direktionswagens. »Es ist ein Schaden von mehreren Millionen! Ich bin pleite.«
»Eine Tragik …« Der Konsul erhob sich. »Sie werden sich doch Rücklagen geschaffen haben?« sagte er an der Tür. »Ein guter Geschäftsmann hat doch Rücklagen.«
»Sie reichen für eine Woche! Wissen Sie, was ein Zirkus jeden Tag kostet?«
»Nein! Aber bei einer guten Kalkulation …«
Der Boß wandte sich ab, drehte dem Konsul unhöflich den Rücken zu, drückte sein Gesicht gegen die Holzwand und begann zu weinen. Betreten, ein wenig beleidigt, verließ der Konsul den Wohnwagen. Artisten, dachte er. Früher nannte man sie Vagabunden. Ein wenig ist davon noch in ihnen geblieben! So ein Brand ist tragisch, gewiß … aber wozu der Jammer? Allez hopp und Purzelbaum können sie überall machen. Gaukler gehen nie unter. Die Welt steht ihnen offen … der dumme August ist unsterblich.
Er ging an den rauchenden Trümmern vorbei, stieg in seinen Wagen und ließ sich nach New York zurückfahren.
Nach einer Woche zerstreute sich der Zirkus Orlando in alle Winde. Der Boß hatte, in Tränen schwimmend, eine Rede gehalten, allen für ihre Treue gedankt und dann offen gesagt, daß er zum Bettler geworden sei. Das war zwar auch nicht wahr, denn die übriggebliebenen Tiere stellten ein ganz schönes Vermögen dar, doch einen neuen Zirkus aufzubauen war unmöglich.
»Da sind wir nun in Amerika!« sagte Saparin, als der Zirkus aufgelöst worden war. »Ihr habt noch eure Löwen … aber ich? Soll ich allein mit meinem Pferd Kosakenritte auf dem Broadway machen? Oder ein Taxi kaufen? Ehe ich New York kennenlerne, bin ich ein Greis! Was habt ihr vor?«
Nadja und Frank Castor hatten die Tage benutzt, sich mit Managern in Verbindung zu setzen. Helena lag in einem Krankenhaus in Richmond, in Watte und Brandbinden eingepackt. Die Ärmchen, die Schultern und die Oberschenkel waren von den Flammen erfaßt worden.
»Wir haben ein Angebot aus Dallas«, sagte Castor. »In einem Varieté. Aber wir können nur vier Löwen mitnehmen. Die anderen kauft eine Tierhandlung. Tausend Dollar pro Stück.«
»Wenigstens etwas!« erwiderte Saparin. »Für meine krummen Beine bekomme ich keinen Cent. Nach Dallas also?«
»Pro Abend zehn Dollar«, sagte Castor. Seine Stimme war matt. Er hatte die vergangenen Tage kaum etwas gegessen. Stundenlang saß er vor den Löwenwagen und sah seine Tiere an. Wen soll ich verkaufen, dachte er dann. Ich liebe sie alle. An jedem von ihnen hängt mein Herz.
»Das ist ein Hungerlohn!« sagte Saparin. »Und du nimmst an?«
»Wir müssen es, Boris Michailowitsch.« Nadja stand an einem Spirituskocher und rührte in einem Topf. Es roch süßlich und fremd. Saparin schnupperte wie ein Hund.
»Was kochst du?« fragte er.
»Eine Maissuppe. Mais ist billig, Boris.«
»Wir werden von Borschtsch und Piroggen träumen«, sagte Saparin leise. »Gerösteter Stör … kandierte Walderdbeeren … Hühnerleber in saurer Sahne … Es kommt nie wieder, Nadja Grigorijewna. Nie wieder …«
An dem Tag, an dem Frank Castor, Nadja, Helena und vier Löwen auf dem Güterbahnhof verladen wurden, um nach Dallas zu fahren, verschwand auch Graf Saparin aus Richmond. Sie waren, außer dem Boß, die letzten, die die Trümmer verließen. Die Polizeibehörden wühlten noch immer in den Überresten und suchten nach Spuren. Man tat es aus politischen Gründen, obgleich jeder wußte, wie sinnlos das war. Aber man wollte zeigen, wie genau die Polizei diesen Fall bearbeitete und daß man in einem Land lebte, wo Verbrechen nicht zur Tagesordnung gehörten, obwohl das immer behauptet wurde.
Nadja und Castor nahmen Abschied von den verkauften Löwen. Neben dem Käfigwagen gingen sie her, als ein Trecker ihn vom Platz zog, und sie sprachen mit den Löwen, die unruhig, ihr neues Schicksal ahnend, gegen die Gitter sprangen und dumpf und herzzerreißend brüllten. Dann standen sie am Rand des Platzes und sahen dem Wagen nach, hatten sich umarmt und bissen die Zähne zusammen. Als der Trecker mit dem rumpelnden Wagen um die Ecke bog, als zum letztenmal das Brüllen der Löwen erklang, ballte Castor die Fäuste und stöhnte. Nadja drückte seinen Kopf an sich und streichelte ihn wie ein Kind, das hingefallen ist
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